SGB IX und Rehabilitation
Mit dem Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) wurden im Jahr 2001 das Schwerbehinderten- und das Rehabilitationsrecht zusammengefasst und zu einem Recht auf aktive Mitwirkung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft weiterentwickelt.
Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.
Eingangssatz zu § 1 SGB IX
Im SGB IX sind aber auch konkrete Hilfen und Maßnahmen festgelegt, zum Beispiel:
- Mehr Eigenverantwortung durch erweiterte Wunsch- und Wahlrechte
- Gleichbehandlung aller Menschen mit Behinderung bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben
- Anspruch auf notwendige Arbeitsassistenz
- Verzicht auf die Einkommens- und Vermögensprüfung unterhaltspflichtiger Eltern von volljährigen Kindern mit Behinderung
- Schneller und unbürokratischer Zugang zu den Leistungen durch feste Fristen für Entscheidungen und Begutachtungen; zudem künftig – mit Wirksamwerden der entsprechenden Regelungen nach dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) – auch durch ein verbindliches Teilhabeplanverfahren, bei dem nur noch ein „leistender Rehabilitationsträger“ gegenüber dem Antragsteller verantwortlich ist.
- Einrichtung der sogenannten Ansprechstellen bei den Rehabilitationsträgern sowie einer Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung.
Trotz Errungenschaften, die das SGB IX gebracht hat, ist aus Sicht der BAG SELBSTHILFE festzuhalten, dass bei der praktischen Umsetzung des SGB IX durch die Rehabilitationsträger das eigentliche Ziel der Verwirklichung eines einheitlichen, umfassenden und trägerübergreifenden Teilhabeanspruchs bisher nicht erreicht werden konnte. Ursache hierfür ist, dass der Gesetzgeber an den bestehenden Strukturen des gegliederten Systems mit unterschiedlichen Rehabilitationsträgern mit eigenen Zielsetzungen unter sich verschärfenden finanziellen Rahmenbedingungen festgehalten hat. Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG), das der Deutsche Bundestag Ende 2016 verabschiedet hat, sollen künftig zwar die Regelungen zur Bedarfsermittlung, zum Teilhabeplanverfahren und zur Zuständigkeitsklärung im SGB IX immer vorgehen. Davon abgesehen bleibt es aber beim grundsätzlichen Vorbehalt abweichender Regelungen in den speziellen Leistungsgesetzen der Träger (z.B. der Krankenversicherung, SGB V oder der Rentenversicherung, SGB VI), durch den in der Praxis die Regelungen des SGB IX wieder vielfach relativiert werden.
Broschüre „Mein Recht auf Rehabilitation und Teilhabe“
Details zu der Frage, was sich seit dem Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes geändert hat, können Sie unserer Broschüre „Mein Recht auf Rehabilitation und Teilhabe“ Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen entnehmen.
Erklärfilm „Mein Recht auf Rehabilitation und Teilhabe“
Reformbedarf
Die BAG SELBSTHILFE bleibt bei ihrer Beurteilung, dass die Beratung, die Wahl-, Gestaltungs-, Selbstbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeiten der Menschen mit Behinderungen und der Zugang zur Rehabilitation verbessert werden müssen. Mit dem BTHG werden zwar wesentliche Punkte aufgegriffen und – zumindest teilweise – Schritte in die richtige Richtung gemacht (vgl. hierzu nachstehende Erläuterungen sowie die Ausführungen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes). Diese sind aber nicht weitreichend genug, vor allem nicht vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention. Denn diese führt auch zu einem Handlungsdarf im Bereich des SGB IX. Darüber hinaus müssen zusätzliche Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Rehabilitationsrechts getroffen werden. Insoweit bestehen aus Sicht der BAG SELBSTHILFE weiterhin vielfältige Reformbedarfe:
- BAG SELBSTHILFE Forderungspapier "Rehabilitation personenzentriert neu gestalten" Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen
- Die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR) setzt sich für ein modernes und anerkanntes Rehabilitationssystem ein. Die DVfR hat unter Beteiligung aller Mitgliedergruppen und ausgewiesener Reha-ExpertInnen eine eigene Definition des Begriffs „Rehabilitation“ Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen erarbeitet.
- Reformbedarf besteht aber auch im Bereich der sogenannten Leistungsbeschaffung durch die Rehabilitationsträger. Lesen Sie hierzu unsere Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Beschaffung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (MedRehaBeschG).
System der Rehabilitation
Rehabilitationsträger
Rehabilitationsträger sind gemäß § 6 SGB IX die gesetzlichen Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, die Träger der Kriegsopferversorgung und Kriegsopferfürsorge, die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sowie die Sozialhilfeträger.
Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe
Dazu zählen gem. § 5 SGB IX Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen sowie Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Zuständigkeiten
Welcher Träger für welche Leistung im Einzelfall zuständig ist, hängt von dem Grund und dem Ziel der jeweiligen Reha-Maßnahme ab. Ergänzende Bestimmungen finden sich dazu in den weiteren Sozialgesetzbüchern.
Beispielsweise erbringt die Krankenkasse Leistungen zur ambulanten oder stationären medizinischen Rehabilitation ((§ 40 SGB V), wenn Maßnahmen der Krankenbehandlung allein nicht ausreichen, um Krankheitsfolgen zu bewältigen. Nach einem Arbeitsunfall ist die gesetzliche Unfallversicherung für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig (§ 35, § 39 SGB VII). Um den Auswirkungen einer Krankheit auf die Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken, erbringt die gesetzliche Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 9, § 10 SGB VI).
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) informiert u. a. über die Ansprechstellen der unterschiedlichen Leistungsträger, bei denen Interessierte Auskunft zum Thema Rehabilitation und Teilhabe bekommen können.
Ein komplexes System
Die historisch gewachsenen unterschiedlichen Zuständigkeiten im deutschen Rehabilitationssystem bieten einerseits die Voraussetzung für hochqualifizierte und auf die jeweiligen Problemlagen bezogene, zielgerichtete Leistung für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. Diese hohe Leistungsfähigkeit des deutschen Reha-Systems genießt auch internationale Anerkennung.
Andererseits erschwert das gegliederte System betroffenen Menschen und ihren Angehörigen, aber auch ihren behandelnden Ärzten und Therapeuten den Überblick darüber, welcher Rehabilitationsträger im Bedarfsfall zuständig ist und auf welche Leistungen unter welchen Voraussetzungen die Betroffenen Anspruch haben. Die Forderung nach verbesserten Zugangsmöglichkeiten zu Rehaleistungen, besserer Information und Beratung sowie optimierter Zusammenarbeit der Leistungserbringer und Leistungsträger ist daher noch immer ein Dauerthema.
Eine umfassende Teilhabeförderung ist dann gegeben, wenn Reha-Maßnahmen und andere rehabilitative Leistungen zielführend ineinandergreifen. Voraussetzung ist die umfassende trägerübergreifende Feststellung des individuellen Förderbedarfs mit Festlegung von Teilhabezielen.
"Rehabilitation vor Rente" und "Rehabilitation vor und bei Pflege" sind wichtige sozialpolitische Leistungsgrundsätze. Sie verpflichten die Rehabilitationsträger, durch geeignete Reha-Maßnahmen dem Verlust der Beschäftigungsfähigkeit entgegenzuwirken bzw. Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu verringern.
Koordination
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) hat die Aufgabe, die Rehabilitations- und Teilhabeleistungen im Rahmen des geltenden Rechts zu koordinieren und zu fördern, damit die Rehabilitationsträger durch sinnvolles Ineinandergreifen ihrer Leistungen eine umfassende Rehabilitation gewährleisten können.
Beratung
Es ist die mit dem BTHG verfolgte Absicht des Gesetzgebers, die Beratungsstruktur zu erneuern. Daher gibt es nunmehr Ansprechstellen bei jedem Reha-Träger, die eine umfassenden Beratung und Information, auch im Austausch mit Arbeitgebern und anderen Reha-Trägern, anbieten.
Dieses Beratungsangebot wird ergänzt durch die sogenannte Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, das insbesondere Behindertenverbände auf regionaler Ebene zur Verfügung stellen sollen und das vor allem durch eine Beratung von Betroffenen für Betroffene geprägt sein soll (sog. Peer-to-peer-Beratung).
Broschüre zur Vernetzung von Rehabilitation und Selbsthilfe
In dieser Broschüre sind Studienergebnisse, Wissen, Meinungen und Empfehlungen rund um das Thema der Vernetzung und Kooperation von Rehabilitation und Selbsthilfe zusammengestellt. Damit sollen Impulse für die zukünftige Etablierung und Weiterentwicklung von Kooperationen und Netzwerken gesetzt werden.
Broschüre "Vernetzung und Kooperation von Rehabilitation und Selbsthilfe" Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen
Webportal der DRV - Meine Rehabilitation
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hat für ihre Versicherten mit dem 01.07.2023 ein neues Webportal unter der Überschrift "Meine Rehabilitation - Ihr Wegweiser zu einer qualitätsgesicherten Reha-Einrichtung" eingerichtet, welches unter dem Link https://meine-rehabilitation.de/pr-web abrufbar ist.
Mit diesem Portal soll es zum Einen den Versicherten ermöglicht werden, eine passende Reha-Einrichtung für ihre diagnostizierte Erkrankung zu finden und zum Anderen können sie sich auch über die Qualität verschiedener Reha-Einrichtungen informieren.
das sog. Public Reporting stellt aus Sicht der BAG SELBSTHILFE eine große Chance dar, um Menschen mit Rehabilitationsbedarfen einen passgenauen Zugang zu Teilhabeleistungen zu ermöglichen.