UN-Behindertenrechtskonvention

Mit ihrer Ratifizierung am 26.03.2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in der Bundesrepublik Deutschland geltendes Recht geworden; sie bindet damit alle Träger öffentlicher Gewalt in ihren Entscheidungen. Damit auch die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik individuelle Rechtsansprüche aus der UN-BRK ableiten können, muss sie in nationales Recht überführt werden. Dieser Prozess hat schrittweise begonnen, es bleibt aus Sicht der BAG SELBSTHILFE jedoch noch viel zu tun.

Die Bundesregierung hat im Jahr 2011 einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verabschiedet. Ihm folgte im Juni 2016 die zweite Auflage unter der Abkürzung NAP 2.0. Dieser setzt auf den ersten Aktionsplan auf und enthält 175 Maßnahmen in 13 Handlungsfeldern (u.a. Arbeit und Beschäftigung, Bildung, Ältere Menschen, Mobilität, Persönlichkeitsrechte, oder auch Bewusstseinsbildung) unter Beteiligung aller Bundesressorts.

Wie auch schon beim ersten Aktionsplan unterlagen die einzelnen Maßnahmen aus Sicht der Betroffenen und ihrer Verbände jedoch auch beim Nationalen Aktionsplan 2.0 einer unzureichenden Verbindlichkeit und unkonkreten Zielvorgaben (vgl. Stellungnahme der BAG SELBSTHILFE  Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen zum NAP 2.0). 

Leider hat die Bundesregierung beschlossen den Nationalen Aktionsplan künftig nicht mehr neu aufzulegen. Dies ist unverständlich, weil wir in Deutschland von einer vollständigen Umsetzung der Konventionen noch weit entfernt sind. 
Immerhin konnte das verfahren des sog. NAP-Ausschusses erhalten bleiben. In diesem Ausschuss, der beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales angesiedelt ist, haben die Organisationen der Zivilgesellschaft die Möglichkeit, die Bundesministerien zu befragen, wie weit sie jeweils mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bereits gekommen sind. Die BAG SELBSTHILFE beteiligt sich mit großem Engagement an diesem Prozess.

Das Leitbild der Inklusion

Die UN-BRK verfolgt bekanntlich das neue Leitbild der Inklusion. Anders als bei beim früheren Begriff der Integration, bei der es das Ziel war, dass sich der behinderte Mensch an die Bedürfnisse und Gegebenheiten der Gesellschaft anpasst, geht es bei der Inklusion umgekehrt darum, dass sich die Gesellschaft mit ihren Strukturen und Rahmenbedingungen dem behinderten Menschen anpasst. Dabei verschiebt sich die Perspektive weg vom „behindert-sein“ hin zum „behindert-werden“, das es zu beseitigen gilt. Dabei wird die Individualität und Vielfalt der Menschen in besonderem Maße geachtet.

Nach der UN-BRK sollen Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben. Damit dies durchsetzbar wird, nennt die UN-BRK Forderungen, die in vielen Lebensbereichen erfüllt werden müssen. Insgesamt 50 Artikel zählt die Konvention und erfasst dabei Lebens- und Themenbereiche wie Barrierefreiheit, Zugang zur Justiz, Achtung der Wohnung und der Familie oder auch Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben. Darüber hinaus enthält sie Grundsätze und Definitionen, die für das grundsätzliche Verständnis von Teilhabe und eine entsprechende Bewusstseinsbildung maßgeblich geworden sind. Nicht zuletzt sind die Vorgaben nach der UN-BRK im Rahmen der Auslegung anderer Vorschriften – soweit inhaltlich betroffen – heranzuziehen.

Die UN-Behindertenrechtskonvention enthält übrigens keine zusätzlichen Rechte von Menschen mit Behinderungen. Vielmehr konkretisiert die UN-BRK die bestehenden Menschenrechte in Bezug auf den Teilhabeanspruch und daraus resultierenden besonderen Bedarf dieser Personengruppe.

So muss z. B. gemäß Artikel 24 ein inklusives Bildungssystem geschaffen werden, bei dem Kinder mit Behinderungen nicht aus dem allgemeinen Schulsystem ausgegrenzt, sondern einbezogen werden. Das gemeinsame Lernen behinderter und nicht behinderter Kinder soll damit zur Regel werden. Beim Zugang zu Arbeit und Beschäftigung haben Menschen mit Behinderungen nach Artikel 27 der UN-BRK Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt. Die UN-BRK fordert auch, Maßnahmen zu ergreifen, damit Mobilität und Barrierefreiheit zugunsten behinderter Menschen sichergestellt werden (Artikel 9 und 20). In Artikel 19 der UN-BRK wird geregelt, dass auch Menschen mit Behinderungen das Recht auf freie Wohn- und Aufenthaltsortwahl haben. Hervorzuheben sind auch die in Artikel 6 der Konvention enthaltenen Rechte behinderter Frauen.

Monitoring-Stelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat eine staatlich unabhängige Monitoring-Stelle eingerichtet, um den Umsetzungsprozess zu begleiten. Unterstützung sollen die Betroffenen ebenfalls durch die Schaffung von Anlaufstellen erhalten, an die sie sich wenden können. Als staatliche Anlaufstelle fungiert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Die Koordination der geplanten Maßnahmen zur UN-Konvention obliegt dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Die Bundesländer müssen ebenfalls die Durchsetzung der UN-Konvention sichern, in dem sie Anlaufstellen für die Betroffenen einrichten.

UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen

In regelmäßigen Abständen muss Deutschland vor den Vereinten Nationen berichten, wie der Stand der Planung und Umsetzung der UN-BRK aussieht. Im Jahr 2023 wurde Deutschland erstmalig vom zuständigen UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Genf geprüft. Nach Abschluss der Prüfungen verabschiedete der Ausschuss sogenannte Abschließende Bemerkungen, die kritische Punkte und vor allem Empfehlungen für die weitere Umsetzung der UN-BRK beinhalten.

Wie auch bei der letzten Staatenprüfung im Jahr 2015 hatte die BAG SELBSTHILFE im Rahmen eines breiten Verbändebündnisses einen sogenannten Schattenbericht erstellt und den UN-Gremien vorgelegt.  Auch bei der späteren Prüfung waren Verbändevertreter als eigene Delegation nach Genf gereist und hatten die Sichtweise der Betroffenen und ihrer Verbände – quasi als Gegenpol zur Darstellung durch die Bundesregierung – dargelegt.

Die BAG SELBSTHILFE arbeitet an der Umsetzung der UN-BRK vor allem durch Mitwirkung in den verschiedensten Gremien mit, allem voran im Arbeitsausschuss zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (sog. NAP-Ausschuss) sowie im Inklusionsbeirat bei dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen.

Partizipation

Gemäß Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 33 Abs. 3 und Art. 35 Abs. 4 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist die Beteiligung von Menschen mit Behinderung als verpflichtende rechtliche Vorgabe verankert. Zwar wird dies teilweise schon in hohem Umfang umgesetzt. Aber aus Sicht der BAG SELBSTHILFE und der anderen beteiligten Verbände ist die qualitative Ausgestaltung von Partizipation vielfach mangelhaft.

Nachdem in den ersten Schritten Partizipation von Menschen mit Behinderung an vielen Stellen etabliert ist, ist die Zeit reif für einen Qualitätssprung. Im nationalen und europäischen Kontext müssen für die zahlreichen Beteiligungsprozesse verbindliche Partizipationsstandards entwickelt werden. Dazu hat der Deutsche Behindertenrat (DBR) ein Positionspapier vorgelegt, welches die BAG SELBSTHILFE aktiv mit erarbeitet hat: „‘Nichts über uns ohne uns‘ – zur Entwicklung von Partizipationsstandards im nationalen und europäischen Kontext“  Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen

Die BAG SELBSTHILFE hat die Forderungen des Positionspapiers aktiv mit erarbeitet und unterstützt voll und ganz die Zielstellung des DBR: Durch Standards wird die Qualität der Partizipation verbessert. So ist Beteiligung an innerstaatlichen und unbedingt auch an europäischen Gesetzgebungsprozessen verbindlich zu normieren und es sind auch für andere Beteiligungsformate national und europäisch Standards und übergeordnete Prinzipien der Partizipation festzulegen.

Die BAG SELBSTHILFE unterstützt die Forderung des DBR, dass national die Bundesregierung diese gute Praxis weiterentwickeln und nun allgemein und verbindlich wesentliche Partizipationsgrundsätze normieren sollte, z. B. in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) oder in Musterverfahrensordnungen.

Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kontexte von Beteiligung auf nationaler Ebene wie z. B. in projektbegleitenden Gremien oder in Beiräten spricht sich die BAG SELBSTHILFE mit den anderen DBR-Verbänden für die Festlegung folgender zentraler, übergeordneter Prinzipien der Partizipation aus:

  • Konsequente Partizipation der Behindertenverbände in allen sie betreffenden Themenbereichen
  • Augenhöhe
  • Barrierefreiheit
  • Transparenz
  • Verbindlichkeit und Verlässlichkeit
  • Bereitstellung von Ressourcen

Auch in europäischen Politikprozessen ist die Beteiligung der Behindertenverbände unverzichtbar. Sie ist aber bislang nicht konsequent sichergestellt.

Formale Standards sind, so die Forderung der BAG SELBSTHILFE und der anderen Behindertenverbände im DBR, in Bezug auf europäische Gesetzgebung ebenso wie z. B. in Bezug auf die Auflegung und Ausgestaltung europäischer Fonds zu entwickeln.

Zu klären ist für die europäische Ebene, wann Partizipationsmöglichkeiten gegeben werden, über welche Stellen sie geschaffen werden und welche Fristen gesetzt werden. Der DBR legt Vorschläge zu Konzeptualisierung und Zielsetzung der Beteiligung vor, betrachtet den europäischen Politikprozess und skizziert mögliche Partizipationszeitpunkte und -standards.

Die BAG SELBSTHILFE setzt sich aktiv dafür ein, dass nun alle Entscheidungsträger die Forderungen des DBR gemeinsam mit den Behindertenverbänden intensiv diskutieren, damit Partizipationsstandards zügig entwickelt und festgelegt werden.

DBR Positionspapier Entwicklung von Partizipationsstandards national und europäisch 2018  Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen

Weitere Informationen

Die Monitoring-Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat auf ihrer Internetseite im Übrigen zahlreiche Informationen und zentrale Dokumente und Links zur UN-Behindertenrechtskonvention zusammengestellt:
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/monitoring-stelle-un-brk/

Regelmäßige Informationen über die Arbeit des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen erhalten Sie im Übrigen auch über die von Frau Prof. Theresia Degener, Mitglied des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, erstellten Newsletter „Bericht aus Genf“, abrufbar unter https://www.bodys-wissen.de/un-behindertenrechtskonvention.html

Erklärvideo zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die BAG SELBSTHILFE und den DBR

Kontakt

Bettina Stevener-Peters

Referatsleitung Recht und Sozialpolitik

Tel.: 0211-31006-53
Fax: 0211-31006-66
Mail: bettina.stevener@bag-selbsthilfe.de

Mariendorfer Damm 159
Berlin 12107