Die Geschichte der Selbsthilfe

Im Grunde beginnt die Geschichte der Selbsthilfe in Deutschland bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts während der Revolutionen, als sich aus der damaligen Not heraus Arbeiterverbrüderungen und Genossenschaften gründeten. Aber ganz so weit wollen wir hier nicht ausholen, sondern nur in aller Kürze sagen: Selbsthilfe hat es in der „modernen“ Gesellschaft schon immer gegeben; nämlich dann, wenn sich einige Personen mehr oder weniger regelmäßig zusammengefunden haben, um über die eigenen Probleme und Herausforderungen des Lebens zu sprechen mit dem Ziel, sich bei der Bewältigung eben dieser speziellen Lebenslage gegenseitig zu unterstützen.

Ein kurzer Abriss der historischen Entwicklung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in Deutschland

Erste gesundheitsbezogene Selbsthilfevereinigungen haben sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts aus gesundheitlich oder sozial problematischen Situationen heraus gebildet. Ein Beispiel ist hierfür der Deutsche Allergie- und Asthmabund e.V. (DAAB), der sich bereits 1897 gründete.

Nach den beiden Weltkriegen gründeten sich in Deutschland erste Selbsthilfeorganisationen für Kriegsversehrte und deren Angehörige, wie der heutige Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) im Jahr 1917, der heutige Sozialverband VdK Deutschland e.V. im Jahr 1950 sowie insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg weitere, meist indikationsspezifische (auf ein Erkrankungsbild spezialisierte) Selbsthilfeorganisationen.

1967 gründete sich die BAG SELBSTHILFE unter dem damaligen Namen „Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V. (BAGH)“. Die acht Gründungsmitglieder waren dabei Elternorganisationen, die sich für die besonderen Bedarfe und Problemlagen der behinderten Kinder einsetzten. Die Grundidee bei der Gründung war es, bundesweit tätige Selbsthilfeorganisationen zusammenzuschließen, um ein Sprachrohr für die gemeinsamen Interessen gegenüber Politik, Fachöffentlichkeit und allgemeiner Öffentlichkeit zu schaffen und ebenso eine Plattform des gegenseitigen Erfahrungs- und Meinungsaustauschs zu bilden, die für weitere Bundesverbände (sowie später auch Landesarbeitsgemeinschaften) offen steht.

Durch die in den 1970er- und 1980er Jahren erfolgte Aufnahme von Organisationen, die sich mit chronischen Erkrankungen befassten, in die Mitgliedschaft der 
BAG SELBSTHILFE (damals noch BAGH) verschob sich ihr Fokus von den akuten zu den chronischen Erkrankungen. Somit wurde auch die unzureichende Wahrnehmung der Probleme chronisch kranker Menschen durch Wissenschaft, Medizin, Industrie und Krankenkassen betont. Zu Beginn der 1990er Jahre gründete sich dann in der damaligen BAGH der „Arbeitskreis chronisch seltene Erkrankungen“, der sich im Jahr 2005 unter dem Namen „Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e.V.“ als rechtlich selbstständiger Verband und auch als Mitgliedsverband der BAG SELBSTHILFE organisiert hat.

Anfang der 1980er Jahre entstanden die ersten Selbsthilfekontaktstellen, um die örtlichen Selbsthilfegruppen unter anderem mit der Zurverfügungstellung von Gruppenräumen oder Anleitungen zur Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen.

Heute bestehen deutschlandweit etwa 350 Selbsthilfeorganisationen verschiedener Größen (gemessen an den Mitgliederzahlen) auf Bundesebene. Seitens der Selbsthilfeunterstützung finden sich in Deutschland bereits an ca. 300 Standorten in Deutschland Selbsthilfekontaktstellen. Mit diesen Organisationen und Kontaktstellen sind die meisten der heute etwa 100.000 Selbsthilfegruppen mit ca. 3,5 Millionen Mitgliedern in Deutschland verbunden. Weiteres zu den Selbsthilfe-Strukturen in Deutschland finden Sie unter Formen und Strukturen der Selbsthilfe.

Mit der Entwicklung und auch mit der Professionalisierung der Selbsthilfe stieg auch die formale Anerkennung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe im deutschen Gesundheitssystem. Die Selbsthilfe etablierte sich über die Jahre zur vierten Säule im deutschen Gesundheitswesen (neben ambulanter Versorgung, stationärer Versorgung und den öffentlichen Gesundheitsdiensten). Bereits seit dem Jahr 1992 gibt es eine gesetzliche Grundlage für die Selbsthilfeförderung durch die Krankenkassen. Seit 2008 sind die gesetzlichen Krankenkassen zur Förderung der Selbsthilfe verpflichtet (weitere Informationen finden Sie unter Selbsthilfeförderung).

Seit 2004 haben Organisationen, die auf Bundesebene maßgeblich die Interessen von PatientInnen sowie der chronisch kranken und behinderten Menschen in Deutschland wahrnehmen, das Recht, in den Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses
(G-BA) angehört zu werden und mitzuberaten. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der ÄrztInnen, ZahnärztInnen, PsychotherapeutInnen, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Da die überwiegende Anzahl der PatientenvertreterInnen beim G-BA aus den Reihen der Mitgliedsverbände der BAG SELBSTHILFE kommt, koordiniert die
BAG SELBSTHILFE für die in der Patientenbeteiligungsverordnung genannten Personen die Entsendung von PatientenvertreterInnen. Der Beteiligung im G-BA kommt große Bedeutung zu, weil diese Institution als „kleiner Gesetzgeber“alle relevanten Richtlinien in der medizinischen Versorgung auf der gesetzlichen Grundlage des SGB V beschließt. Diese Neuregelung ist nicht zuletzt dem jahrelangen und beharrlichen Einsatz für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu verdanken und kann in diesem Zusammenhang als ein Meilenstein in der Bewegung für mehr Selbstbestimmung behinderter und chronisch kranker Menschen verstanden werden. Allerdings ist unbedingt zu beachten, dass die Patientenorganisationen kein Stimmrecht haben! Sie haben lediglich ein Mitberatungsrecht. Weitere ausführliche Informationen finden Sie unter Patientenbeteiligung.