Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen
Patientinnen und Patienten, die einer psychotherapeutischen Behandlung bedürfen, müssen lange auf Behandlungen warten und haben grundsätzlich Schwierigkeiten, genügend Angebote in zumutbarer Entfernung zu finden. Auch für Angehörige, die stets mitbetroffen sind, gibt es keine ausreichenden Hilfsangebote.
Es muss dringend eine patientenorientierte, bedarfsgerechte und flächendeckende psychotherapeutische Versorgung zur Verfügung gestellt werden, die dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse entspricht.
Daher tritt die BAG SELBSTHILFE für neue berufsrechtliche und sozialrechtliche Regelungen in Deutschland ein und spricht sich für die Weiterentwicklung von Wissenschaft und Forschung, insbesondere der Versorgungsforschung, aus.
Forderungen zur psychotherapeutischen Versorgung
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt den Ansatz, im Bereich der Psychotherapie einen akademischen Abschluss einzuführen, die Weiterbildung neu zu regeln und den Zugang zum Beruf der Psychotherapeutin und des Psychotherapeuten über eine Approbation zu ermöglichen. Dabei ist wünschenswert, dass Inhalte angrenzender Qualifikationsbereiche gut aufeinander abgestimmt werden, z.B. durch klar unterscheidbare Berufsbezeichnungen.
Für die Versorgung kann auf dem Weg einer Ausbildungsreform erreicht werden, dass künftig wissenschaftlich geprüfte und empfohlene psychotherapeutische Verfahren, Methoden und Techniken in ihrer Vielfalt zwingender Bestandteil der Ausbildung sind. Auch die praktische Orientierung muss hinreichend in der Ausbildung abgebildet sein.
Aus Sicht der Patientinnen und Patienten trägt es weiterhin zur besseren Versorgung bei, wenn auch die Berufstätigen, die sich auf den bislang bestehenden Wegen qualifiziert haben, Möglichkeiten erhalten, die neuen Abschlüsse zu erwerben und Weiterbildungen zu nutzen.
Für die Qualität der Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist es ein gewichtiger Vorteil, wenn Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten etwa eine erziehungswissenschaftliche oder psychologische Ausbildung abgeschlossen haben. Daher tritt die BAG SELBSTHILFE für Möglichkeiten der geregelten Anerkennung besonderer Doppel- und Zusatzqualifikationen ein.
Übergeordnetes Ziel der psychotherapeutischen Versorgung muss sein, dass die bestehenden Bedarfe zahlenmäßig besser abgedeckt werden und dass die überkommene Aufteilung der Sitze zwischen ärztlichen und psychologischen Psychotherapeutinnen und –therapeuten überwunden wird.
Die BAG SELBSTHILFE fordert daher mit Nachdruck, dass die Bedarfsplanung nach
§ 92 SGB V durch einen entsprechenden Gesetzesauftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss grundlegend neu gestaltet wird.
Forderungen zur Weiterentwicklung der Versorgungsforschung
Die BAG SELBSTHILFE e.V. hält die Weiterentwicklung der Erforschung von psychischen Erkrankungen zur Verbesserung der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörigen für notwendig. Sie tritt mit der Aktion psychisch Kranker e.V. für die folgenden Forderungen ein:
Einbettung in den translationalen Prozess
Versorgungsforschung sollte in den translationalen Prozess eingebettet werden, ausgehend von der klinischen Grundlagenforschung bis hin zur Evaluation nachhaltig eingeführter evidenzbasierter Maßnahmen im Versorgungs- und Behandlungsalltag.
Die gesellschaftlich zentralen Forschungsfragen betreffen die Entstehung psychischer Erkrankungen (z.B. soziale Determinanten, traumatische Belastungen in der Kindheit), die Strategien der Krankheitsbewältigung (z.B. individuelle Genesungswege im Sinne des Recovery-Modells, Ermöglichung von Inklusion und Teilhabe) sowie die Umsetzung entsprechender Behandlungspfade und Versorgungsangebote in den Alltag.
Lebenswelten, Milieus, Stadt-Land-Unterschiede, Diversität, Migration sowie regionale Variabilität müssen zur Sicherstellung flächendeckender Translation in den Versorgungsalltag ebenfalls berücksichtigt werden.
Soziale und berufliche Teilhabe sowie Förderung individueller Krankheitsbewältigung
Die gelingende Implementation evidenzbasierter psychosozialer Interventionen im Lebensumfeld und der Einbezug in das Arbeitsleben sind von zentraler Bedeutung für die soziale Teilhabe. Weitere dringend zu bearbeitende Forschungsthemen im Rahmen der psychosozialen Interventionen sind die Stärkung der Selbstwirksamkeit (Empowerment) und die Förderung der individuellen Krankheitsbewältigung (Recovery) sowie Fragen der Beziehungsgestaltung und der partizipativen Entscheidungsfindung.
E-Mental-Health
Die Disseminations- und Implementierungsforschung kann Aufschluss darüber geben, wie das bekannte Potenzial von E-Health-Interventionen in Prävention, Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen ihren Nutzen entfalten kann.
Zusätzliche Krankheitslasten: Stigma und Ausgrenzung
Erforderlich sind partizipative sowie nutzergeleitete Ansätze zur Stigma-Bewältigung und zum Abbau gesellschaftlicher Vorurteile sowie die Klärung ihrer Wirksamkeit und Implementierbarkeit unter Alltagsbedingungen.
Partizipative Forschung
Mitbestimmende und gestaltende Beteiligung von Menschen mit psychischen Erkrankungen an der Forschung ist von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung des Feldes. Sie setzt konsequent die Forderung der UN-BRK nach aktiver Teilhabe um, indem relevante Forschungsfragen identifiziert und nutzergerechte, innovative Angebote entwickelt werden.