Stellungnahme zum Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Erste Verordnung zur Änderung der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung 2.0 (BITV 2.0) (Bearbeitungsstand: 13.09.2023)

Für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem o.g. Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales möchte die BAG SELBSTHILFE herzlich danken. Als Dachverband von 125 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 13 Landesarbeitsgemeinschaften nehmen wir zu dem Verordnungsentwurf wie folgt Stellung:

1. Zielstellung des Entwurfes:

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt grundsätzlich, dass mit diesem Verordnungsentwurf die bisherige Regelung des § 5 BITV 2.0 (Ausschuss für barrierefreie Informationstechnik) überarbeitet und neu gefasst wird.

Zur Begründung führt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) an, dass sich im Rahmen der praktischen Arbeit des Ausschusses für barrierefreie Informationstechnik seit seiner Konstituierung im Juni 2020 Problemstellungen zu seiner Arbeitsweise aber auch zur Mitgliedschaft sowie zur Zusammenarbeit im Ausschuss und mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ergeben haben, welche mit dem bisherigen Regelungsgehalt in § 5 BITV 2.0 nicht mehr ausreichend zu lösen sind, so dass die vorhandenen Regelungslücken mit den in diesem Verordnungsentwurf geplanten Änderungen nunmehr geschlossen werden sollen:

  • Es soll u.a. die Befugnis des Ausschusses aufgenommen werden, dass dieser sich unter Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine Geschäftsordnung gibt,
  • ferner soll der Ausschuss, welcher bei der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik eingerichtet ist, zukünftig bei seiner Arbeit durch eine Geschäftsstelle unterstützt werden,
  • es sollen neue Regelungen zur Beendigung der Mitgliedschaft im Ausschuss sowie zur vorzeitigen Abberufung und Wiederberufung hinzugefügt werden.

Mit diesen neu gefassten Regelungen sollen nicht nur die internen Arbeitsabläufe des Ausschusses im Einzelnen klar definiert werden, um zukünftig sein reibungsloses Funktionieren als Kollegialorgan zu gewährleisten, sondern mit diesen Änderungen sollen auch Rechtssicherheit sowie Transparenz geschaffen werden.
 

2. Ergänzungsbedarf aus Sicht der BAG SELBSTHILFE:

a) Inhalt und Umfang der Verpflichtung zur Barrierefreiheit:

Auch wenn mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf die Überarbeitung des § 5 BITV 2.0 in den o.g. Punkten begrüßenswert ist, mit dem Ziel, langfristig eine konstruktive sowie auch erfolgreiche Arbeit des Ausschusses für barrierefreie Informationstechnik zu gewährleisten, bedarf es dennoch nach unserem Dafürhalten zukünftig einer Erweiterung des bisher angesprochenen Adressatenkreises – vorliegend der öffentlichen Stellen (Bundesverwaltung, Landesverwaltung, juristische Person des öffentlichen Rechts (Körperschaften, Anstalten, Stiftungen) sowie kommunaler Gebietskörperschaften (Städte, Gemeinden, Landkreise) -, welcher ebenfalls zur Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen verpflichtet werden muss.  

Eine barrierefreie Informations - und Kommunikationstechnik ist eine Grundvoraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in einer digitalen Welt. Die in Deutschland seit März 2009 als geltendes Recht im Range eines Bundesgesetzes zu beachtende UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verpflichtet deshalb dazu, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs - und sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderung einen gleichberechtigten Zugang zu und eine selbstbestimmte Teilhabe an allen modernen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie zur anderen Einrichtungen und Diensten, welche elektronisch bereitgestellt werden oder zur Nutzung offenstehen, zu ermöglichen sowie vorhandene Zugangshindernisse und -barrieren zu beseitigen (Art. 4 lit. a i.V.m. Art. 9 Abs. 1 UN-BRK). Hierzu gehört auch, dass für die Allgemeinheit bestimmte Informationen Menschen mit Behinderung in Formaten zur Verfügung stehen, die für sie zugänglich und nutzbar sind (Art. 21 UN-BRK).

Außerdem verpflichtet die UN-Behindertenrechtskonvention dazu, durch geeignete Gesetzgebungsmaßnahmen sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste anbieten, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung berücksichtigen (Art. 9 Abs. 2 lit. b UN-BRK).

Die Regelungen zur barrierefreien Informationstechnik in den §§ 12-12d Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verpflichten bisher nur die Behörden der Bundesverwaltung, ihre Internetauftritte und Angebote sowie ihre grafischen Programmoberflächen barrierefrei zu gestalten. Die in der BITV 2.0 enthaltenen Regelungen, welche zur Umsetzung der Richtlinie EU 2016/2102 durch Änderungsverordnung vom 21.05.2019 weitgehend neu gefasst und ergänzt wurden, konkretisieren mithin die Regelungen der §§ 12-12d BGG und beziehen sich insoweit auch nur auf Angebote und mobile Anwendungen von öffentlichen Stellen des Bundes.

Im Koalitionsvertrag der jetzigen Ampelregierung (2021-2025/“Mehr Fortschritt wagen-Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“) heißt es jedoch: „Wir wollen, dass Deutschland in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens, vor allem aber bei der Mobilität (u. a. bei der Deutschen Bahn), beim Wohnen, in der Gesundheit und im digitalen Bereich, barrierefrei wird. ... Dazu überarbeiten wir unter anderem das Behindertengleichstellungsgesetz und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.“

Weder bei den Reformen des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) 2016 und 2018 (BGBL. 2016 I 1757 und BGBL. 2018 I 1117), noch bei der Umsetzung der EU-Webseitenrichtlinie (Richtlinie über barrierefreie Websites - Richtlinie (EU) 2016/2102) wurden die Verpflichtungen privater Unternehmen und Organisationen zur Barrierefreiheit grundlegend angegangen. Das BGG verpflichtet auch weiterhin nur die Träger öffentlicher Gewalt zur Herstellung von Barrierefreiheit.

Ob Güter und Dienstleistungen von privaten Anbietern oder von öffentlichen Trägern angeboten werden, ist für die Menschen im Alltag jedoch oft kaum erkennbar und zweitrangig – um gleichberechtigt teilzuhaben, sind sie in jedem Fall auf Barrierefreiheit angewiesen. Zu Recht lehnt daher auch die UN-Behindertenrechtskonvention eine Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Anbietern ab; der UN-Fachausschuss hat dies mehrfach bekräftigt („…goods, products and services […] must be accessible to all, regardless of whether they are owned and/or provided by a public authority or a private enterprise“).

Im Konsens mit dem Deutschen Behindertenrat (DBR) fordern wir daher wiederholt, auch private Anbieter von der Öffentlichkeit zugänglichen Gütern und Dienstleistungen zu verpflichten, diese barrierefrei anzubieten und somit auch Informationsverarbeitungssysteme, Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen barrierefrei zu gestalten. Diese Pflicht ist auch gesetzlich endlich auszugestalten, um eine umfassend und uneingeschränkt barrierefreie Gestaltung moderner Informationstechnik zu gewährleisten.

b) Einzuhaltende Standards: 

Gemäß § 12 Abs. 2 BGG erfolgt die barrierefreie Gestaltung nach Maßgabe der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) und soweit diese keine Vorgaben enthält, nach den anerkannten Regeln der Technik. Aus § 12d Nr. 2 BGG ergibt sich die Ermächtigung, durch Rechtsverordnung Bestimmungen über die technischen Standards zu erlassen, die öffentliche Stellen des Bundes bei der barrierefreien Gestaltung anzuwenden haben. Hierzu enthält die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung in § 3 Abs. 2 BITV 2.0 seit ihrer Neufassung im Jahr 2019 eine dynamische Verweisung auf die Standards der europäischen Normungsinstitute (zum Begriff der harmonisierten Normen vergleiche Art. 2 Nr. 1 VO (EU) Nr. 1025/2012), deren Referenzen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden.

Zu bemängeln ist in diesem Kontext, dass sich die anzuwendenden Standards nicht auf einen Blick aus der BITV 2.0 ergeben. Stattdessen ist stets zu prüfen, ob und welche Referenzen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden und ob weitere Nutzeranforderungen zu beachten sind. Die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung sieht deshalb gemäß § 3 Abs. 5 BITV 2.0 vor, dass die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik in ihren Webauftritt regelmäßig alle zur Umsetzung der BITV 2.0 erforderlichen Informationen in deutscher Sprache veröffentlicht, insbesondere aktuelle Informationen zu den zu beachtenden Standards, aus denen die Barrierefreiheitsanforderung detailliert hervorgehen, Konformitätstabellen, welche einen Überblick zu den wichtigsten Barrierefreiheitsanforderungen geben, Empfehlungen des Ausschusses für barrierefreie Informationstechnik sowie weiterführende Erläuterungen. Hierbei wird die Überwachungsstelle des Bundes von dem Ausschuss für barrierefreie Informationstechnik unterstützt (§ 5 Abs. 3 BITV 2.0).
 

3. Fazit:

Ebenso wichtig wie die digitale Barrierefreiheit im öffentlichen Bereich ist die Barrierefreiheit von Webinhalten und Apps, welche von privaten Unternehmen und Dienstleistern angeboten werden. Trotz der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 4 lit. a i.V.m. Art. 9 Abs. 2 lit. b, Art. 4 lit. e und Art. 21 lit. c UN-BRK) fehlen nach wie vor in Deutschland ausdrückliche gesetzliche Regelungen, welche sicherstellen, dass auch private Anbieter ihre Internetauftritte und Apps barrierefrei zu gestalten haben. Dies hat auch der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Rahmen seiner Abschließenden Bemerkungen (Concluding Observations) anlässlich der ersten Staatsprüfung Deutschlands vom 17.04.2015 kritisiert (abrufbar unter https://documents.un.org/prod/ods.nsf/home.xsp;Dokument-Nr.:CRPD/C/DEU/CO1.)
 

BAG SELBSTHILFE
Düsseldorf/Berlin, den 16.10.2023  

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