1. Zielsetzung des Entwurfes:
Vorliegender Referentenentwurf dient der Umsetzung der Bestimmungen der EU- Richtlinien 2024/1499 und 2024/1500 in nationales Recht, konkret sollen Änderungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vorgenommen werden durch:
- Einrichtung einer Schlichtungsstelle zur alternativen Streitbeilegung bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), welche Diskriminierungssachverhalte prüft und Schlichtungsvorschläge unterbreitet,
- die Möglichkeit für von Diskriminierung Betroffene, Ansprüche vor Gericht durch einen Antidiskriminierungsverband geltend zu machen (Prozessstandschaft),
- das Recht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), in AGG-bezogenen Gerichtsverfahren eine Stellungnahme einzureichen und
- die Verbesserung des Zugangs zur ADS sowie deren Dienst- und Beratungsleistungen.
2. Gesetzentwurf ist kein Ersatz für unerlässliche AGG-Novellierung:
Vorgenannte Zielsetzungen – hier die Förderung der ADS durch Kompetenz- und Aufgabenerweiterung einschließlich der Installation einer Schlichtungsstelle bei der ADS in Diskriminierungsfällen - sind zwar begrüßenswert, um den Diskriminierungsschutz in Deutschland zu verbessern, allerdings möchte die BAG SELBSTHILFE darauf hinweisen, dass die im Entwurf aufgezählten punktuellen Änderungen im AGG die nach wie vor von Seiten der Behindertenverbände und insoweit auch von Seiten des Deutschen Behindertenrates (DBR) dringend geforderte Novellierung des AGG in keiner Weise ersetzen können.
Das AGG, welches mit Datum vom 18.08.2024 seit 18 Jahren in Deutschland geltendes Recht ist, weist nach wie vor massive Schutzlücken auf, mit der Konsequenz, dass Deutschlands rechtlicher Diskriminierungsschutz erheblich unter dem Standard anderer europäischer Länder liegen.
Die BAG SELBSTHILFE fordert daher - in Übereinstimmung mit dem Deutschen Behindertenrat (DBR) – die jetzige Ampelregierung unter Bezugnahme auf den geschlossenen Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode auf, dass noch in dieser Legislatur sowohl das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als auch das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) reformiert werden. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die längst überfällige AGG-Reform angekündigt mit den Worten: „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten.“ Der DBR hat ein konsentiertes Positionspapier verfasst und eine zügige AGG-Reform gefordert, um inklusive Teilhabe für Menschen mit Behinderung auch im zivilrechtlichen Bereich noch rechtzeitig vor Ende der Legislaturperiode spürbar zu verbessern. Folgende Handlungsfelder aus behindertenpolitischer Perspektive sehen der DBR und damit auch die BAG SELBSTHILFE als zentral an:
- Verstöße gegen Vorhaben zur Barrierefreiheit als Benachteiligung anerkennen
- Recht auf angemessene Vorkehrungen im AGG verankern
- Diskriminierungsschutz erweitern
- Novellierung der Rechtfertigungstatbestände - Gefahrenabwehr darf kein pauschaler Ausschlussgrund sein
- Rechtsdurchsetzung stärken
- Erweiterung des geschützten Personenkreises
- Barrierefreiheit voranbringen - Verzahnung von AGG, BGG und BFSG umsetzen
Um die Rechtsdurchsetzung der von Diskriminierung betroffenen Personen zu stärken sowie den Zugang zur Justiz zu erleichtern, sieht der Referentenentwurf (lediglich) die Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei der ADS sowie die Möglichkeit einer gesetzlichen Prozessstandschaft vor, d.h. gemäß § 23 Abs.3 AGG (neu) „können Benachteiligte Antidiskriminierungsverbände nach Abs.1, die nicht selbst am Prozess beteiligt sind, ermächtigen, ihre Rechte nach diesem Gesetz in einem gerichtlichen Verfahren im eigenen Namen geltend zu machen“.
Die bisherigen Mitwirkungsbefugnisse von Antidiskriminierungsverbänden, welche sich bis dato auf eine Beistandschaft im gerichtlichen Verfahren beschränken, werden um die Möglichkeit der Prozessstandschaft erweitert.
Diese vorgenannten Erweiterungen reichen jedoch nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE und des DBR für eine wirksame und mithin umfängliche Rechtsdurchsetzung der von Diskriminierung Betroffenen nicht aus. Im Gegenteil, der DBR fordert zudem, dass neben der Möglichkeit der gesetzlichen Prozessstandschaft auch die Antidiskriminierungsverbände i.S.v. von § 23 AGG ein Verbandsklagerecht erhalten, damit nicht nur Betroffene selbst, sondern auch Antidiskriminierungsverbände Missstände öffentlich machen und Abhilfe gerichtlich einfordern können. Insoweit müssen die Klagemöglichkeiten nach dem AGG erweitert werden.
Des Weiteren wird von Seiten des DBR gefordert, dass auch Verbände i.S.v. § 15 Abs. 3 BGG die Möglichkeit erhalten, mit einer Verbandsklage sowie mit der gesetzlichen Prozessstandschaft Diskriminierungstatbestände für Menschen mit Behinderung zu rügen und mit diesen Instrumentarien auch die Verpflichtung zur Barrierefreiheit sowie die Pflicht zur Schaffung angemessener Vorkehrungen durchgesetzt werden können. Insoweit müssen nach dem AGG sowohl eine Unterlassungsklage, eine Klage auf Vornahme einer bestimmten Leistung/Tun als auch eine Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft sein. Darüber hinaus ist angezeigt, einen Rechtsmittelfonds auch für Klagen nach dem AGG zu schaffen, wie sie bereits aus dem Bereich des Natur- und Umweltschutzes bekannt sind.
Ferner sind auch die Fristen nach dem AGG auf 12 Monate zu verlängern. Bislang muss gemäß § 15 Abs.4 AGG ein Anspruch auf Entschädigung bzw. Schadensersatz wegen Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot binnen einer Frist von 2 Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE sowie der im Deutschen Behindertenrat angeschlossenen Betroffenenverbände ist diese Frist eindeutig zu kurzgehalten, weil sie einen wirksamen Schutz gegen Benachteiligung verhindert. Je stärker die erlebte Diskriminierung, umso länger ist das Zeitfenster, welche Geschädigte für die Verarbeitung benötigen, bevor sie überhaupt rechtliche Schritte einleiten können. Unter dieser Prämisse dürfen zu kurzen Fristen den Rechtsschutz nicht einschränken.
Vor diesem Hintergrund verfängt auch nicht das Argument in der Begründung des Entwurfes, „die Geltendmachungsfrist dient dem Schutz der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers. Nach Ablauf der Frist muss sie oder er nicht mehr damit rechnen, dass Ansprüche geltend gemacht werden. Demzufolge ist sie oder er nicht verpflichtet, Unterlagen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist aufzubewahren. Insofern dient die Geltendmachungsfrist auch der Rechtssicherheit.“
In Umsetzung der o.g. EU-Richtlinien sieht der Referentenentwurf zudem vor, dass die ADS gemäß § 25 Abs.4 AGG (neu) zum einen „ihre Leistungen unentgeltlich anbietet und wirksame Maßnahmen sowie angemessene Vorkehrungen trifft, um einen gleichen und barrierefreien Zugang zu gewährleisten“. Diese Vorgaben sind grundsätzlich zu begrüßen, jedoch sollte auch bei der ADS als eine oberste Bundesbehörde eine Koordinierungsstelle mit einem/einer Beauftragten für Barrierefreiheit eingerichtet werden mit der Aufgabe, darauf zu achten, dass sich die aus dem BGG sowie anderen Rechtsvorschriften ergebenden Verpflichtungen zur Barrierefreiheit auch umgesetzt werden. Eine solche Koordinierungsstelle ist auch zusätzlich zur Bundesfachstelle Barrierefreiheit erforderlich, weil letztere nur eine Erstberatung leisten kann.
Ferner sollen lt. Entwurf die bisherigen Aufgaben der ADS nach § 27 AGG erweitert werden dahingehend, dass die ADS zudem „über die Möglichkeiten psychologischer Unterstützung informiert und über die geltenden Vertraulichkeitsvorschriften sowie den Schutz personenbezogener Daten informiert“. Dies setzt jedoch voraus, dass der ADS im Sinne der Vorschrift des § 25 Abs.2 AGG für die Erfüllung ihrer Aufgaben nicht nur das notwendige Personal und Sachausstattung zur Verfügung gestellt werden, sondern dass die ADS zur Verbesserung ihrer Antidiskriminierungsberatung auch die notwendige finanzielle Förderung erhält.
Bereits im Hinblick auf den Haushaltsplan des Bundes für 2025 ist dies allerdings zweifelhaft; so fehlen u.a. für die 36 respekt*land-Projekte der ADS zur Verbesserung der Antidiskriminierungsberatung, ursprünglich angelegt auf 3 Jahre, 5 Millionen € zu ihrer Fortführung im Haushaltsplan des Bundes für 2025.
Gemäß § 27 Abs. 4 AGG (neu) „sollen die ADS und die in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages bei Benachteiligungen aus mehreren der in § 1 genannten Gründe zusammenarbeiten“, nach § 28 Abs. 2 AGBG (neu) „ist die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung bei allen Vorhaben, die ihre Aufgaben berühren zu beteiligen. Die Beteiligung soll möglichst frühzeitig erfolgen. Sie oder er kann der Bundesregierung Vorschläge machen, Stellungnahmen mit Empfehlungen zuleiten und diese veröffentlichen“.
Zur Gewährleistung einer konstruktiven Zusammenarbeit sollte nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE jedoch auch eine engere Verzahnung der ADS mit der Schlichtungsstelle des Beauftragten des Bundes für die Belange von Menschen mit Behinderungen im Sinne von § 16 BGG erfolgen, auch mit dem Ziel, ggf. Beratungen bei Gesetzgebungen vornehmen zu können.
3. Fazit:
Aus dargelegten Gründen ersetzt der vorliegende Gesetzesentwurf die nach wie vor dringend gebotene Novellierung des AGG nicht, sondern er kann nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE nur eine Interimslösung darstellen, um die o.g. EU-Richtlinien, welche bereits am 18.06.2024 in Kraft getreten sind, bis zum 19.06.2026 in nationales Recht umzusetzen und damit auch ein von Seiten der EU-Kommission ggf. anzustrengendes Vertragsverletzungsverfahren zu verhindern.
Wir fügen das konsentierte Positionspapier des DBR - “Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz im Interesse von Menschen mit Behinderungen teilhabeorientiert weiterentwickeln“ vom 15.03.2023 als Anlage zur Kenntnisnahme bei.
Berlin/Düsseldorf, den 14.10.2024
Anlage: - Positionspapier des DBR – „Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz im Interesse von Menschen mit Behinderungen teilhabeorientiert Weiterentwickeln“. 15.03.2023