Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ausgestaltung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeinklusionsgesetz – IKJHG)

Für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem o.g. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ausgestaltung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe möchte die BAG SELBSTHILFE herzlich danken. Als Dachverband von 121 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 13 Landesarbeitsgemeinschaften nehmen wir zu dem vorgelegten Referentenentwurf wie folgt Stellung:

1.Zielstellung des Entwurfes: 

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt mit vorliegendem Referentenentwurf die grundsätzliche Zielstellung einer Zusammenführung der Zuständigkeiten der Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII. Mit diesem Entwurf ist ein erster Schritt zu einem klaren Bekenntnis einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe insoweit gemacht, als dass junge Menschen mit Behinderung und ihre Familien im Rahmen einer gesetzlich angestrebten Ausgestaltung der inklusiven Lösung für ein gedeihliches Aufwachsen einen zentralen Ansprechpartner bekommen sollen. Auch ist begrüßenswert, dass es für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung zukünftig Verbesserungen bei der Leistungsgewährung als auch bei der Leistungserbringung unter besonderer Berücksichtigung der Lebensphase „Kindheit und Jugend“ geben soll. Im Hinblick darauf ist jedoch bei der Ausgestaltung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen zum Leistungserbringerrecht sowie zum Leistungsrecht einschließlich der Rahmenbedingungen für die Verwaltung besondere Sorgfalt erforderlich, gerade weil Kinder und Jugendliche mit Behinderung darauf angewiesen sind, ein intaktes Sozialleistungssystem vorzufinden.

2. Umsetzung des Entwurfes:

a.) positive Ansätze:    

§ 5 Abs. 3 SGB VIII (neu) (Wunsch und Wahlrecht):

Positiv sieht die BAG SELBSTHILFE den Verweis auf § 104 Abs. 3 und 4 SGB IX zur Vermeidung von Verschlechterungen im Vergleich zum bisherigen Recht. Es wäre jedoch begrüßenswert, in § 5 SGB VIII insgesamt auf die „berechtigten Wünsche“ im Sinne von § 8 SGB IX abzustellen. Damit würden Friktionen zur Teilhabeplanung im Sinne der §§ 19 ff. SGB IX vermieden.

§ 27 SGB VIII (neu): (Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe)

Der neugefasste § 27 Abs. 1 SGB VIII führt den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung und den Anspruch auf Leistungen zur Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche als „Leistungen zur Entwicklung, zur Erziehung und zur Teilhabe zusammen“ („Dachleistungstatbestand“). Gemäß der Abs. 2 und 3 des § 27 SGB VIII erhalten Hilfe zur Erziehung sowie Leistungen zur Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderung eigene Anspruchsgrundlagen; Abs. 5 des § 27 SGB VIII bestimmt, dass bei gleichzeitigem Bestehen eines Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung sowie auf Leistungen zur Eingliederungshilfe einzelne Leistungen der Eingliederungshilfe ebenso wie erzieherische Hilfen miteinander oder auch mit anderen Leistungen des SGB VIII kombinierbar sind.

Unter Zugrundelegung der verschiedenen Zielsetzungen des SGB VIII (Förderung des jungen Menschen in seiner Entwicklung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit) und des SGB IX (Gewährung individueller Leistungen ggü. Menschen mit Behinderung oder von Behinderung bedrohten Menschen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern sowie Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken) ist eine Aufspaltung in verschiedene Anspruchsgrundlagen unter dem gemeinsamen Dach des SGB VIII grundsätzlich nicht zu beanstanden. Behinderungsbedingten Teilhabebedarfen kann nicht mit erzieherischen Hilfen begegnet werden und umgekehrt.

Allerdings darf die Konzeption unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen für Hilfen zur Erziehung und für Eingliederungshilfeleistungen in der Praxis nicht dazu führen, dass die Mitarbeiter*innen in den Jugendämtern die individuell zu ermittelndem Bedarfe des Antragstellenden weiterhin isoliert prüfen. Vielmehr müssen die Fachkräfte in den Jugendämtern mit den Fachkräften der Eingliederungshilfe zusammenwirken, mit dem Ziel, passgenaue Bedarfe und Leistungen zu gewähren und Familien adäquat zu unterstützen. Nur ein multiprofessionelles Team kann Hilfen aus einer Hand sowie die entsprechende Fachlichkeit sichern. Dazu gehört insbesondere, dass bereits vorhandenes Know-how gesichert und gebündelt wird, d. h. die kommunal organisierten Jugendämter müssen beispielsweise regionale Netzwerke und Arbeitsgemeinschaften bilden, um auf die spezifischen Bedarfslagen von jungen Menschen mit Beeinträchtigung adäquat reagieren zu können.

§ 27a SGB VIII neu (Hilfe zur Erziehung), § 35a SGB VIII neu (Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen):

Im Rahmen zwei unterschiedlicher offener Leistungskataloge werden typische Arten von Leistungen der Hilfe zur Erziehung und der Leistungen der Eingliederungshilfe beschrieben, was grundsätzlich zu begrüßen ist.

§ 35c SGB VIII neu (Früherkennung und Frühförderung):

Zu begrüßen ist ebenfalls, dass die Frühförderung als niedrigschwellige Komplexleistung für Kinder mit (drohender) Behinderung mit ihren rechtlichen Regelungen erhalten bleibt, die Regelungen zum Förder- und Behandlungsplan nach der Frühförderungsverordnung auch in einem inklusiven SGB VIII gelten und die Vorschriften zur Hilfe- und Leistungsplanung bei Leistungen zur Früherkennung und Frühförderung keine Anwendung finden.

§ 38b SGB VIII neu (Instrumente der Bedarfsermittlung bei Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen):

Nach Abs. 2 hat die Ermittlung des individuellen Bedarfs des Leistungsberechtigten durch ein einheitliches Bedarfsermittlungsinstrument zu erfolgen, welches sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit orientiert. Das Nähere über das Instrument der Bedarfsermittlung kann das BMFSJF durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen.

Dies ist nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE zu begrüßen, denn zur Gewährleistung einheitlicher Lebensbedingungen muss das Bedarfsermittlungsinstrument bundesweit einheitlich verbindlich sein und es ist ein ICF-basiertes Bedarfsermittlungsinstrument anzuwenden.  

§ 10b SGB VIII (Verfahrenslotse):

Zu begrüßen ist, dass die Expertise des Verfahrenslotsen auch in Zukunft genutzt wird, d. h. mit einer Entfristung bleibt seine Unterstützungsfunktion zukünftig erhalten. In seiner Begründung weist der Referentenentwurf zu Recht auch darauf hin, dass mit der Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe eine wesentliche Schnittstelle zur Eingliederungshilfe aufgelöst wird. Junge Menschen mit (drohender) Behinderung und ihre Familien stehen auch weiterhin einem nach unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen gegliederten komplexen Sozialleistungssystem gegenüber, hierfür soll die Funktion des Verfahrenslotsen weiterhin nutzbar gemacht werden. Sie soll auf Leistungen zur Teilhabe im Sinne von § 4 SGB IX insgesamt bezogen werden und insbesondere auf andere Leistungssysteme wie der gesetzlichen Krankenversicherung oder der sozialen Pflegeversicherung Bezug nehmen. Die Bandbreite der Unterstützungs- und Beratungsfunktion sollte sich aber nicht nur in der Gesetzesbegründung, sondern direkt im Gesetz wiederfinden und § 4 SGB IX ausdrücklich im Gesetzestext benannt werden. Im Hinblick auf die Unterstützung des öffentlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen der Jugendhilfeplanung, welche zu befürworten ist, sollte eine klarere rechtliche Grundlage geschaffen werden, um die Rolle des Verfahrenslotsen in der Jugendhilfeplanung weiter zu konkretisieren.

b.) Nachbesserungs- bzw. Ergänzungsbedarfe: 

Allerdings sieht die BAG SELBSTHILFE auch dringende Nachbesserungs- bzw. Ergänzungsbedarfe, um Verschlechterungen für junge Menschen mit Behinderung und ihrer Familien zu vermeiden:

§ 1 SGB VIII: beinhaltet, dass jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Person hat. § 1 SGB IX regelt, dass Menschen mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Menschen Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen erhalten, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame sowie gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.

Im Rahmen der Umsetzung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe muss das neben Entwicklung und Erziehung stehende Recht auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen ausdrücklich im Leitbild des neuen SGB VIII implementiert werden, um dem grundrechtlich garantierten Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderung gemäß Art.3 Abs.3, S.2 GG sowie der UN-BRK umfassend gerecht zu werden. Aus genannten Gründen sollte daher § 1 SGB VIII ergänzt werden dahingehend, dass junge Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX zudem Leistungen zur Förderung ihrer Selbstbestimmung, ihrer vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie zur Vermeidung und Beseitigung von Benachteiligungen erhalten.

§ 4a SGB VIII (selbstorganisierte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung): Gemäß Abs.3 soll die öffentliche Jugendhilfe die selbstorganisierten Zusammenschlüsse nach Maßgabe des SGB VIII „anregen und fördern“. Jedoch haben die Erfahrungen mit der bisherigen Umsetzung des KJSG gezeigt, dass diese Formulierung im § 4a Abs.3 SGB VIII zu schwach ist, um die Position und die Förderung von selbstorganisierten Zusammenschlüssen zur Selbstvertretung grundlegend zu stärken. In diesem Kontext ist anzumerken, dass die Beteiligung und Förderung von selbstorganisierten Zusammenschlüssen zur Selbstvertretung in der Kinder- und Jugendhilfe keine Tradition haben mit der Konsequenz, dass eine Öffnung gegenüber sowie eine Förderung von selbstorganisierten Zusammenschlüssen junger Menschen durch diese Regelung nicht erreicht wird. Vor diesem Hintergrund muss die Beteiligung von jungen Menschen mit Behinderung in Angelegenheiten der öffentlichen Jugendhilfe selbstverständlich und strukturell auf den verschiedenen Ebenen gesetzlich und tatsächlich verankert werden. Dabei gilt es auch, die finanziellen Ressourcen bereitzustellen, damit die Gestaltung partizipativer Planungs- und Entscheidungsprozesse gelingen kann. Dies schließt kontinuierliche Förderungen in diesem Bereich ebenso ein, wie die Bereitstellung der Mittel für Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen (z.B. barrierefreie Aufbereitung von Dokumenten, Dolmetschen in Leichte Sprache oder in Gebärdensprache).

Den Zusammenschlüssen nach § 4a muss daher in den Jugendhilfeausschüssen ein echtes Mitberatungsrecht eingeräumt werden. In § 71 Absatz 2 SGB VIII ist die Soll-Vorschrift zur Mitwirkung dahingehend zu ändern, dass die Zusammenschlüsse der Betroffenen „mitberatend zu beteiligen sind“. Ferner sollte eine Kooperationsverpflichtung der Verfahrenslotsen mit den Zusammenschlüssen nach § 4a explizit mit ins Gesetz aufgenommen werden, um das in der UN-BRK verankerte Partizipationsgebot in einem inklusiven SGB VIII umzusetzen.  

Schließlich ist es erforderlich, dass sich auch die Kinder- und Jugendhilfe künftig im Bereich der Selbsthilfeförderung stärker engagiert. Daher sollten die Jugendhilfeausschüsse analog zu § 26 Absatz 2 Nr. 6 SGB IX die Aufgabe zugewiesen bekommen, Empfehlungen zur Förderung der Selbsthilfe zu beschließen.

§ 7 SGB VIII (Begriffsbestimmungen): Um eine elternunabhängige soziale Sicherung von Care Leaver*innen zu erreichen, ist es auch nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE notwendig, im neuen SGB VIII den Personenkreis der Care Leaver*innen sozialrechtlich zu fassen. Der Rechtsstatus könnte in den Begriffsbestimmungen des § 7 SGB VIII definiert sowie in anderen Sozialgesetzen aufgegriffen werden. Auf dieser Grundlage kann in anderen Sozialrechtsbüchern darauf Bezug genommen werden, um die Elternunabhängigkeit von Leistungen, insbesondere zur Existenzsicherung, für Care Leaver*innen zu sichern.

§ 27 Abs. 3 SGB VIII (neu): Wie erwähnt, haben danach Kinder oder Jugendliche mit Behinderung im Sinne von § 7 Abs. 2, die in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange diese Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalls geeignet und notwendig sind, den jungen Menschen eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern und sie zu befähigen, ihre Lebensplanung und -Führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können.

Diese Norm beschränkt sich auf die Übernahme des § 90 Abs.1 SGB IX, was nach unserem Dafürhalten keinesfalls ausreichend ist. Das SGB IX bindet die Erbringung der Leistungen zur Teilhabe an die Erreichung der im Rahmen des Teilhabeplanverfahrens festzustellenden Teilhabeziele bzw. die in § 90 Abs. 2-5 SGB IX genannten Aufgaben der Eingliederungshilfe. Diese Bindung bindet zugleich die Träger bei der Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens bei der Entscheidung über Gegenstand, Art und Umfang der Leistungen. Den Leistungsvorschriften des Teils 1 des SGB IX (§§ 42, 49, 75,76) sind in den jeweiligen Absätzen 1 bewusst Leistungsziele vorangestellt, welche mit den Leistungen im Sinne von § 4 Abs. 2 S. 1 SGB IX wirksam erreicht werden sollen.

Diese Teilhabeziele, mit Ausnahme des § 35f Abs.1 (Leistungen zur sozialen Teilhabe), werden jedoch mit vorliegendem Gesetzesentwurf außeracht gelassen. Da die Regelungen des § 4 Abs.1 und 2 SGB IX mangels abweichender Regelungen nach § 7 Abs.1 S.1 SGB IX auch geltendes Recht der Eingliederungshilfe sind und der Teil 2 des SGB IX im Übrigen auf die Aufgabenstellung der Eingliederungshilfe nach § 90 Abs. 2-5 SGB IX abstellt, ist nach unserem Dafürhalten Abs. 3 zu ergänzen: “Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in §§ 4 Abs.2 und  90 Abs. 2-5 des Neunten Buches genannten Teilhabeziele erbracht“.

§ 27 Abs. 3a und b SGB VIII (neu): versucht, die Tatbestandsvoraussetzungen der „Eignung“ und „Notwendigkeit“ der Leistungen der Eingliederungshilfe zu konkretisieren und greift in diesem Kontext den Begriff der „Wesentlichkeit“ des § 99 Abs. 1 SGB IX inhaltlich auf.

Als Begründung wird im Referentenentwurf angeführt, dass nach der Rechtsprechung zum Wesentlichkeitsbegriff im Rahmen einer wertenden Betrachtung entscheidend sei, wie sich die Beeinträchtigung im Einzelfall konkret auf die Teilhabe auswirke und nicht, wie stark die Beeinträchtigung sei und in welchem Umfang ein Funktionsdefizit vorliege. Dieser Prüfungsmaßstab werde ausdrücklich in § 27 Abs. 3 SGB VIII geregelt, damit werde auch den Ergebnissen der Studie des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik zur Wesentlichkeit der (drohenden) Behinderung als Anspruchsvoraussetzung für Leistungen der Eingliederungshilfe im Rahmen des Gesetzesvorhabens zur inklusiven Lösung Rechnung getragen, wonach es in der gegenwärtigen Rechtsanwendung bei der Prüfung der Wesentlichkeit einer drohenden Behinderung insbesondere darauf ankomme, die individuelle Situation und Bedarfslage des Kindes oder Jugendlichen in den Blick zu nehmen und basierend auf der konkreten Teilhabebeeinträchtigung im Einzelfall die passende, zielführende Hilfe zu ermitteln. Gemäß § 27 Abs. 3b SGB VIII (neu) gelte der dem Wesentlichkeitsbegriff zugrunde liegende Prüfungsmaßstab auch im Hinblick auf drohende Behinderungen, da sich die Voraussetzung der Eignung und Notwendigkeit nach Abs. 1 auch darauf beziehen würde.

Diese Begründung für die Heranziehung des Kriteriums der „Wesentlichkeit“ ist jedoch in einem inklusiven SGB VIII nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE nicht haltbar. Unter Bezugnahme auf das konsentierte Forderungspapier des Deutschen Behindertenrates zum Abschluss des Beteiligungsprozesses „Gemeinsam zum Ziel: Wir gestalten die inklusive Kinder- und Jugendhilfe“ vom 15.12.2023 ist die BAG SELBSTHILFE der Auffassung, dass in einem künftig ausgestalteten inklusiven SGB VIII bereits infolge der präventiven Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe für die Eingliederungshilfeleistungen und zwar unabhängig von der Art der Behinderung an die (drohende) Behinderung als Zugangskriterium angeknüpft werden muss. In diesem Kontext ist auf jeden Fall auf das Wesentlichkeitskriterium zu verzichten. Andernfalls würde eine Einschränkung des Zugangs zu den Leistungen der Eingliederungshilfe stattfinden, welche die dynamischen Entwicklungsprozesse von jungen Menschen ignoriert und verhindert, dass sie ihre Potenziale voll entfalten können.

Dies widerspräche auch der UN-Kinderrechtskonvention sowie der UN-Behindertenrechtskonvention. Auch würde mit dieser Argumentation das in § 104 Abs. 2 und Abs. 3 SGB IX verankerte Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten ausgehebelt, welches nunmehr im Referentenentwurf in § 5 Abs. 3 SGB VIII verankert wird.  

§ 35c SGB VIII (neu) (Früherkennung und Frühförderung): Um die Frühförderung als eine niedrigschwelle Komplexleistung für Kinder mit drohender Behinderung weiterzuentwickeln, ist nach unserem Dafürhalten auch eine gesetzliche Klarstellung notwendig, damit eine bedarfsgerechte Finanzierung der Leistungen durch die beteiligten Träger wie aus einer Hand ermöglicht wird und bundeseinheitliche Standards für die Interdisziplinarität der Frühförderung geregelt sind.

Gemäß § 38a SGB VIII (neu) (Bedarfsfeststellung bei Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen) sollte neben vorhandenen Attesten, Reha-Berichten sowie ärztlichen Gutachten auch ein bereits vorhandener Schwerbehindertenausweis bzw. dessen Feststellungsbescheid eine behinderungsbedingte Teilhabebeeinträchtigung nachweisen. Dies sollte in der Gesetzesbegründung mit aufgenommen werden. Unabhängig davon empfinden junge Menschen mit Behinderung körperliche sowie seelische Begutachtungen als einen massiven Eingriff in ihre Privatsphäre, welches mit erheblichen Belastungen bis hin zu Retraumatisierungen verbunden sein kann. Vor diesem Hintergrund ist nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE der Verzicht auf unnötige Wiederholungs-Begutachtungen zu begrüßen; die Begleitung durch Vertrauenspersonen und das Recht, Therapien auch aussetzen zu dürfen, schützt das Selbstwertgefühl junger Menschen und stärkt die Selbstbestimmung. Auch hinsichtlich der Prävention von Missbrauch und Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderung können insoweit Grundlagen für eine gesunde Entwicklung der Selbstbehauptung gelegt werden.

Gemäß §§ 35d und 35 e SGB VIII (neu ) (Leistungen zur Teilhabe an Bildung, Leistungen zur Beschäftigung) ist im Rahmen einer notwendigen Hilfsmittelversorgung auch Voraussetzung, dass nicht nur der Leistungsberechtigte, sondern auch seine Assistenzpersonen das Hilfsmittel bedienen können. Kinder und Jugendliche mit komplexen Behinderungen sind in der Regel nicht in der Lage, ihre benötigten Hilfsmittel selbst aufzubauen oder zu bedienen (z.B. Elektrorollstuhl für Kleinkinder, Talker für stark spastisch gelähmte junge Menschen).

Nach § 35f Abs. 2 SGB VIII (neu) (Leistungen zur sozialen Teilhabe): werden Leistungen zur sozialen Teilhabe nicht abschließend aufgezählt, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Allerdings sollte nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE zumindest in der Begründung des Referentenentwurfes das weite Verständnis von sozialer Teilhabe im Sinne des § 4 Abs. 3 SGB IX ausdrücklich verankert werden. Danach werden Leistungen für Kinder mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Kinder so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. In der Praxis sind Eltern durch mangelnde Unterstützung zum Teil jedoch erheblich belastet, insbesondere wenn sie ihre Kinder mit Behinderung zu Hause erziehen und nicht in Einrichtungen betreuen lassen. Es ist insoweit notwendig, dass zu den Leistungen der sozialen Teilhabe künftig auch solche gehören, die sich nicht unmittelbar an den jungen Menschen mit Behinderung richten, gleichwohl aber für die Gewährleistung seiner gleichberechtigten Teilhabe im persönlichen Familienumfeld erforderlich sind, dazu zählen insbesondere familienunterstützende Angebote. Auch eine niedrigschwellige alltagspraktische Begleitung und Entlastung (sog. Alltagsassistenz) gehören dazu, um Familien und Erziehungsberechtigte bei der Alltagsbewältigung und insbesondere bei der Erledigung allgemeiner Verrichtungen wie der Haushaltsführung sowie bei der Betreuung und Versorgung der im Haushalt lebenden weiteren Kinder zu unterstützen, dass auch Eltern mit Behinderung stärker als bisher mit adäquaten Angeboten unterstützt werden. Dies setzt voraus, dass die Jugendhilfe die Leistungen, welche für Eltern bereits jetzt zur Verfügung stehen, auch für Eltern mit Behinderung zugänglich macht (beispielsweise Beratung durch EUTB). Zudem darf es nicht dazu kommen, dass bei Eltern mit geistiger und/oder seelischer Beeinträchtigung notwendige Assistenzleistungen in der Praxis in erzieherische Hilfen umdefiniert werden. Im Gegenteil, Eltern mit Behinderung können sowohl einen Anspruch auf Elternassistenz/begleitete Elternschaft im Sinne von Eingliederungshilfeleistungen haben als auch einen Bedarf an erzieherischen Hilfen. Es gilt insoweit jeweils im Einzelfall zu entscheiden, ob Eingliederungshilfe, Hilfe zur Erziehung oder gegebenenfalls beides benötigt wird, dass es Angebote für junge Menschen mit (drohender) Behinderung zum Empowerment und Peer-Austausch geben muss.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass eine zukünftige inklusive Kinder- und Jugendhilfe nur barrierefrei funktionieren kann, d. h. die Verpflichtung, alle Angebote allen Beteiligten barrierefrei zugänglich zu machen und die im Einzelfall erforderlichen angemessenen Vorkehrungen gemäß Art.5 Abs.3 i.V.m. Art.4 UN-BRK zu treffen, muss auch im SGB VIII explizit verankert werden. Die dafür notwendigen finanziellen Ressourcen sind nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE ebenfalls zur Verfügung zu stellen.

§ 41 SGB VIII (Hilfe für junge Volljährige): Danach erhalten junge Volljährige geeignete und notwendige Hilfen, wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbstständige Lebensführung nicht gewährleistet. Nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE können jedoch in einer inklusiv ausgerichteten Kinder- und Jugendhilfe die Bedarfe für junge Volljährige nicht nur anhand einer auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen ausgerichtete Kategorie bemessen werden, sondern vielmehr müssen die Bedarfe entsprechend dem des IKJHG zugrunde gelegten Verständnisses von Behinderung auch Teilhabebeeinträchtigungen umfassen. Andernfalls würden die Leistungen für junge Volljährige nicht inklusiv begründet werden können.

§§ 78a ff SGB VIII (neu): Leistungserbringerrecht

Um Rechtssicherheit in Bezug auf das erforderliche und bedarfsgerechte Leistungsangebot für Teilhabeleistungen an Menschen mit Behinderung herzustellen, müssen die Leistungen mit verbindlichen Regelungen im Leistungserbringungsrecht verknüpft werden. Dafür muss der Rechtsanspruch der Leistungserbringer auf Abschluss einer Vereinbarung, wie er in §§ 123 ff. SGB IX geregelt ist, auch im SGB VIII verankert werden, und zwar unabhängig davon, ob es sich um ambulante, teilstationäre oder stationäre Leistungen handelt. Das ist bislang nicht der Fall. Es droht mithin eine wesentliche Verschlechterung, und zwar nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht. Bedarfe behinderter Kinder und Jugendlicher werden nicht gedeckt, wenn bedarfsgerechte Leistungsangebote zum Erreichen der Teilhabeziele nicht zur Verfügung stehen, weil es keine Leistungserbringer gibt.

Gemäß der §§ 78a ff. SGB VIII können ausschließlich für Entgelte in Einrichtungen (stationär oder teilstationär) Vereinbarungen geschlossen werden. So werden nach § 78a Abs.1 Nr.5 SGB VIII (neu) Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in a) anderen teilstationären Einrichtungen und b) Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen erbracht.

Die Finanzierung der Entgelte für ambulante Leistungen ist in § 77 SGB VIII geregelt. Die Voraussetzung für die Finanzierung der Entgelte ist der Abschluss von Vereinbarungen. Ein Rechtsanspruch auf Abschluss einer Vereinbarung bei ambulanten Leistungen besteht hingegen - anders als im SGB IX - nicht. Vielmehr …“sind Vereinbarungen über die Höhe der Kosten der Inanspruchnahme sowie über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung, über Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität der Leistung und über geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung zwischen der öffentlichen und der freien Jugendhilfe anzustreben.“ Das Nähere, auch zur Qualität der Leistungen einschließlich der Qualitätsmerkmale bezogen auf die spezifischen Bedarfe von Menschen mit Behinderung, regelt nach § 77 Abs.1 S. 3 SGB VIII das Landesrecht.

Dies stellt eine wesentliche Verschlechterung im Vergleich zum Vertragsrecht im Sinne des SGB IX, Teil 2 dar. Um diese zu vermeiden, wird vorgeschlagen, § 78a Abs. 1 Nr. 5 wie folgt neu zu fassen: „Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderung“.

Mit diesem Vorschlag werden alle Leistungen der Eingliederungshilfe erfasst, egal, ob sie ambulant, teilstationär oder stationär erbracht werden. Das wäre die „Minimallösung“, wenn sich der Gesetzgeber nicht entschließt, die Grundsätze des Leistungserbringungsrechts des SGB IX, Teil 2 insgesamt ins SGB VIII zu übernehmen. Zudem dürfen Leistungen zur Teilhabe in keinem Bundesland freiwillige Leistungen werden, die nicht auskömmlich refinanziert sind, d.h. die Leistungsfinanzierung bei ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen darf in einem inklusiven SGB VIII nicht unter einem landesrechtlichen Vorbehalt stehen, wie derzeit in §§ 77 Abs.1 S.3, 78a Abs. 2 SGB VIII geregelt.

Schließlich ist klarzustellen, dass ambulante Leistungen der Eingliederungshilfe, welche insbesondere erforderliche Assistenzleistungen für junge Menschen im Bereich der sozialen Teilhabe umfassen, keinesfalls mit den niedrigschwelligen Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe gleichgesetzt werden dürfen.

Regelungen zur Kostenheranziehung in einem inklusiven SGB VIII (§§ 91 ff. SGB VIII (neu):

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt grundsätzlich die geplante Vereinheitlichung der Kostenheranziehung, d.h. insoweit nicht mehr zwischen verschiedenen Hilfen und Leistungen unterschieden wird. Auch wird die geplante Kostenfreiheit ambulanter Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35f SGB VIII begrüßt. Diese gesetzliche Änderung stellt eine notwendige finanzielle Entlastung für Eltern von Kindern mit Behinderung dar und trägt auch zur Stärkung der Teilhabechancen dieser bei. Allerdings beinhaltet der vorliegende Referentenentwurf auch, dass für bestimmte Sach- und Geldleistungen weiterhin ein Eigenanteil zu leisten ist, dies gilt vor allem für die Leistungen zur Mobilität und Leistungen für Wohnraum.

Im Hinblick darauf sollte in der Gesetzesbegründung klargestellt werden, dass z.B. mobilitätsrelevante Assistenzkosten von dieser Einschränkung nicht erfasst sein dürfen, da sie gleichermaßen, wie andere ambulante Leistungen, unverzichtbare Nachteilsausgleiche darstellen.

Wenn junge Menschen behinderungsbedingt beispielsweise ein Kfz zur Erreichung einer Ausbildungsstätte benötigen, sind sie in der Regel nicht in der Lage, dieses Fahrzeug in der Grundausstattung aus eigenen Ersparnissen zu finanzieren. Die Finanzierung allein des behinderungsbedingten Mehrbedarfs ist dann nicht ausreichend. Des Weiteren ist in diesem Kontext zu beachten, dass die Kosten und der Personalaufwand für die Prüfung der Einkommens- und Vermögensgrenzen oftmals höher sind als der Beitrag, welchen der Leistungsberechtigte am Ende bei Überschreitung dieser Grenzen zahlen müsste. Auf diese Umstände hat auch der UN-Fachausschusses explizit hingewiesen.

Die geplanten Änderungen in der Kostenheranziehung im Bereich der (teil)stationären und stationären Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung sind nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE weiterhin klärungsbedürftig. Eine abschließende Bewertung der vorgesehenen Kostenheranziehung für diese Leistungen ist nicht derzeit möglich, weil die konkrete Ausgestaltung einer Kostenverordnung vorbehalten bleibt. Diese orientiert sich an der Anlage zu § 28 SGB XII. Der neuen Kostenbeitragsverordnung soll der Gedanke der „häuslichen Ersparnisse“ zugrunde liegen. Die Begründung zu § 94 Abs. 2 SGB VIII stellt klar, dass dabei ein Pauschalbetrag für die Einsparung vermutet wird. Weiterhin sollen die Einsparungen einkommensabhängig gestaffelt und sich von 0-150 % an den Beträgen aus den Regelbedarfsstufen orientieren. Das Kindergeld, sofern die Eltern es beziehen, wird auf das Einkommen angerechnet. Es stellt sich insgesamt die Frage, ob die vorgesehene Pauschalierung sowie Staffelung der Einsparungen, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen sind, tatsächlich den Bedarfssituationen der Familien gerecht werden.

Deutschland ist anlässlich der 2./3. kombinierten Staatenprüfung Ende August 2023 wiederholt massiv gerügt worden dafür, dass Eltern behinderter Kinder hohe Kosten für Assistenz und Unterstützungsleistungen haben. Der UN-Fachausschusses hat daher in seinen Abschließenden Bemerkungen empfohlen, alle behinderungsrelevanten Kosten für ambulante oder stationäre Leistungen von Kindern mit Behinderung staatlicherseits zu übernehmen.

Unter dieser Prämisse ist nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE eine umfassende Überprüfung der geplanten Kostenheranziehung nach § 94 SGB VIII (neu) erforderlich. Dabei ist sicherzustellen, dass für alle behinderungsbedingten Kosten, sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich, das Einkommen der Eltern nicht eingesetzt wird. Nur so kann eine gleichberechtigte Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung gewährleistet werden.

Zudem sind die im Koalitionsvertrag für die 20.Legislaturperiode angekündigten Verbesserungen beim Einsatz von Einkommen und Vermögen in der Eingliederungshilfe jetzt im Rahmen der Ausgestaltung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe auch umzusetzen.

Die BAG SELBSTHILFE fordert insoweit, die Kostenbeteiligung für Eltern und junge Menschen mit Behinderung in Bezug auf (teil-) stationäre Leistungen unter Berücksichtigung der Grundsätze im SGB IX zu überarbeiten. Sie plädiert dafür, dass sie von einer einkommensabhängigen Kostenbeteiligung freigestellt werden und eine klarebBegrenzung der Kostenbeitragspflicht auf die „tatsächlichen häuslichen Ersparnisse“ erfolgt.

§ 51 Abs.1 Nr.6b SGG (neu): Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit u.a. „…in Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe, soweit sie Leistungen der Eingliederungshilfe betreffen“.

Laut Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfes sollen für Angelegenheiten, die Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit Behinderung betreffen, der Rechtsweg an die Sozialgerichte eröffnet sein. Sind nicht nur Leistungen der Eingliederungshilfe Teil der Streitigkeit, sondern auch andere Leistungen nach dem SGB VIII, so ist der Rechtsweg an die Sozialgerichte auch in Bezug auf diese anderen Leistungen eröffnet; auch in Kombination von verschiedenen Leistungen sei laut Entwurf so ein einheitlicher Rechtsweg eröffnet.

Vom Wortlaut her ist die vorgenannte Regelung jedoch unklar und wird der Intention des Gesetzgebers nicht gerecht, dass jungen Menschen mit Behinderung aufgrund unterschiedlicher Bedarfe und damit der Inanspruchnahme unterschiedlicher Leistungen (Hilfen zur Erziehung sowie Leistungen der Eingliederungshilfe, aber auch andere jugendhilferechtliche Leistungen) auch ein einheitlicher Rechtsweg zu den Sozialgerichten zusteht. Im Gegenteil, die jetzige Regelung trägt noch mehr dazu bei, dass das versäulte System zwischen den Hilfen zur Erziehung und den Eingliederungshilfeleistungen aufrecht erhalten bleibt und insoweit auch weiterhin eine Rechtswegspaltung bei gleichzeitigem Bezug von Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfeleistungen droht.

Zudem erachtet die BAG SELBSTHILFE es auch als kritisch, dass das Vertragsrecht nicht den Sozialgerichten zugeordnet ist. Das Leistungserbringerrecht muss aber spiegelbildlich die Verwirklichung der Ziele des § 4 Abs. 1 SGB IX abbilden können. Dementsprechend muss eine Verknüpfung zum Rehabilitations- und Teilhaberecht auch im Rahmen der Gerichtsbarkeit abgesichert werden.

Eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe spiegelt sich auch in der gleichen Gerichtsbarkeit für alle Kinder und Jugendlichen sowie junge Erwachsene - unabhängig von einer Behinderung – wider, sodass die BAG SELBSTHILFE dafür plädiert, die neu einzufügende Regelung in § 51 Abs.1 Nr.6b SGG wie folgt zu formulieren: „Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in allen Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe, soweit sie Leistungen der Eingliederungshilfe und Hilfe zur Erziehung betreffen.“

Sollte keine entsprechende Anpassung in § 51 SGG vorgenommen werden, so wäre eine Rechtswegspaltung die zwingende Konsequenz. Die alleinige Rechtswegzuweisung zur Sozialgerichtsbarkeit im Rahmen einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe ist auch deshalb angezeigt, weil die Sozialgerichte im Umgang und der Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung seit jeher vertraut sind. Unabhängig davon ist die Sozialgerichtsbarkeit für Leistungsberechtigte niedrigschwelliger zugänglich und gemäß § 75 Abs. 5 SGG kann auch der nur beigeladene Sozialleistungsträger ohne vorheriges Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren zur Leistung verurteilt werden.

Berlin/Düsseldorf, den 02.10.2024 

Behindertenpolitik
Stellungnahme

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