Stellungnahme zum Referentenentwurf einer Verordnung zur Zulässigkeit von Werbemaßnahmen der Krankenkassen (Krankenkassen-Werbemaßnahmen-Verordnung)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt zwar sehr, dass dem werblichen Handeln der Krankenkassen Grenzen gesetzt werden; an vielen Stellen hält sie die Regelungen auch für zielführend, etwa das Sachlichkeitsgebot des § 2. Für dringend überarbeitungsbedürftig hält sie jedoch die Regelung des § 7 zu den Hausbesuchen.

 

Als Dachverband von 117 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und deren Angehörigen sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften begrüßt es die BAG SELBSTHILFE zwar sehr, dass dem werblichen Handeln der Krankenkassen Grenzen gesetzt werden; an vielen Stellen hält sie die Regelungen auch für zielführend, etwa das Sachlichkeitsgebot des § 2.

Für dringend überarbeitungsbedürftig hält sie jedoch die Regelung des § 7 zu den Hausbesuchen. Danach sind Hausbesuche zu Werbezwecken sind nur zulässig, wenn

1. die betroffene Person zuvor ausdrücklich eingewilligt hat oder

2. die Krankenkasse zuvor schriftlich den Besuch unter Nennung des konkreten Termins angekündigt und die betroffene Person nicht widersprochen hat.

Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE besteht bei der markierten Regelung des § 7 Nr. 2 das hohe Risiko, dass Versicherte eine solche Terminankündigung gar nicht lesen und deswegen auch nicht widersprechen. Ferner wird auch die Gefahr gesehen, dass der Brief so formuliert wird, dass gar nicht klar wird, dass der Termin optional ist oder einer Werbemaßnahme dient. In der Begründung selbst wird darauf verwiesen, dass Hausbesuche die Gefahr einer Belästigung und Überrumpelung beinhalten, zumal Krankenkassen von vielen Menschen als eine Art Behörde wahrgenommen werden, denen man sogar teilweise irrtümlich ein Zutrittsrecht unterstellt. Insoweit ist hier in jedem Falle zumindest von einer Grundrechtsbetroffenheit gegen das Recht auf Schutz der Privatsphäre aus Art. 2 (Schutz der Privat-, Geheim- und Intimsphäre des Menschen) auszugehen.

Bzgl. der Rechtfertigung dieses Eingriffs verstößt die generelle Regelung („zu Werbezwecken“) in Nummer 2 aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE angesichts seiner wenig konkreten Ausgestaltung gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz, da sie im Verordnungswege erfolgt, und gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne. Die generelle Annahme einer „hohen Effektivität“ von Hausbesuchen reicht eben aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE nicht aus zu begründen, dass hier Erfolg der Maßnahme und Beeinträchtigung der Betroffenen in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Vielmehr ist aus unserer Sicht von einem Missverhältnis auszugehen: Das Ziel der Maßnahme, die Förderung der wettbewerblichen Position der Krankenkasse, rechtfertigt es eben nicht, Menschen in ihrer grundrechtlich geschützten Privatsphäre anzutreffen und über Hausbesuche zu überrumpeln, in die diese nicht vorher eingewilligt haben.

Dies hat auch das LG Rostock(1) in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden:

„Denn nach Auffassung des Gerichts ist ein Hausbesuch - ebenso wie Telefonwerbung - nur nach vorheriger Einwilligung des Wohnungsinhabers zulässig. Bei Beurteilung der Frage, ob die beanstandete Werbung des Beklagten eine unzumutbare Belästigung darstellt, ist eine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Umworbenen auf Schutz der Privatsphäre (Art.2 GG) und dem des Gewerbetreibenden an freier Berufsausübung (Art.12, 14 GG) vorzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach Dafürhalten des Gerichts von einem unbestellten Hausbesuch eine mindestens ähnlich starke Belästigung ausgeht, wie von einem unerwünschten Ansprechen in einem Telefonat. Auch bei einem Hausbesuch erfolgt die Ansprache im privaten Bereich. Der Umworbene wird gezielt in einer Situation angesprochen, in der er Werbung nicht zu dulden braucht. Zumeist geschieht dies durch psychologisch geschulte Mitarbeiter, so dass der Angesprochene in besonderem Maße einem Geschäftsabschlussdruck ausgesetzt ist. Es gestaltet sich in der Regel auch schwieriger, ein persönliches Gespräch zu beenden als ein Telefonat, bei dem schlicht der Hörer aufgelegt werden kann. Demgegenüber fällt das Interesse des Werbenden, ohne Einwilligung des Verbrauchers Hausbesuche durchzuführen zu können, weniger ins Gewicht als der mit einem Hausbesuch verbundene erhebliche Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen. Dem Werbenden ist es ohne weiteres möglich, mit Hilfe einer frankierten Antwortpostkarte die vorherige Einwilligung des Adressaten einzuholen. Dies minimiert auch das Risiko, den Verbraucher vergeblich aufzusuchen. Diese Erwägungen rechtfertigen es nach Dafürhalten des Gerichts, Hausbesuche ohne vorherige Einwilligung des Verbrauchers für unzulässig zu erachten (ebenso Köhler/Bornkamm, UWG, 28.A., § 7 Rz. 46 ff. m.w.N.; Piper, UWG, 5.A., § 7 Rz. 80). Zwar meint der Beklagte, dass sich aus Nr.26 des Anhanges zu § 3 Abs.3 UWG, wonach nur die Nichtbeachtung einer Aufforderung des Besuchten, die Wohnung zu verlassen eine unzulässige geschäftliche Handlung darstelle, ergebe, dass nach vorheriger Ankündigung erfolgende Hausbesuche stets zulässig seien. Dem ist aber nicht zu folgen. Im Rahmen der Nr.26 kommt es nicht darauf an, ob der Hausbesuch als solcher erwünscht oder unerwünscht war. Die Zulässigkeit des Hausbesuches als solches ist vielmehr nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen (Köhler/Bornkamm, a.a.O., Anh zu § 3 III Rz. 26.1). Auch von einer mutmaßlichen Einwilligung der Vereinsmitglieder kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Die Möglichkeit, ein günstiges Angebot für den Abschluss einer Versicherung zu erhalten, genügt dafür noch nicht. Auch die bloße schriftliche Ankündigung eines Hausbesuches ohne vorherige Einwilligung des Verbrauchers, wie ihn der Beklagte in dem streitgegenständlichen Schreiben in Aussicht stellt, beeinträchtigt die Entscheidungsfreiheit des Angesprochenen, ob er den Vertreter empfängt oder abweist, in unzumutbarer Weise. Denn das angesprochene Vereinsmitglied des Beklagten ist gehalten, von sich aus tätig zu werden und auf das Schreiben des Beklagten zu reagieren, wenn es keinen Hausbesuch wünscht. Dies hält das Gericht nicht für zumutbar, zumal nicht erkennbar ist, dass dem Vereinsmitglied hierdurch kein Kostenaufwand entsteht. Soweit der Beklagte dem entgegen hält, eine kostenlose Hotline für Vereinsmitglieder vorzuhalten, mittels derer ein Widerspruch telefonisch habe erklärt werden können, ist dieser Umstand dem Anschreiben selbst nicht zu entnehmen und schon deshalb ohne Relevanz. Insoweit besteht auch ein Unterschied zur Entscheidung des BGH vom 05.05.1994, NJW 1994, 2028, auf die der Beklagte die Zulässigkeit von Hausbesuchen vorliegend stützt. Denn in dem dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt war der schriftlichen Besuchsanmeldung eine frankierte Rückantwortkarte beigefügt, das heißt es war von vornherein erkennbar, dass mit einem Widerspruch keinerlei finanzieller Aufwand des Umworbenen verbunden war. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall.“

Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE sollte daher die Regelung in Nr. 2 vollständig gestrichen. Zudem sollte in der Regelung Nr. 1 klar festgelegt werden, dass die Einwilligung in den Hausbesuch schriftlich erfolgen und vorher eine ausdrückliche Belehrung über die Freiwilligkeit der Einwilligung übersandt werden muss.

Berlin/ Düsseldorf, 15.01.2021


(1) LG Rostock, Urteil vom 12.11.2010 - 3 O 227/10,

zit: nach. openjur.de/u/625672.html

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