Stellungnahme zum Pflegekompetenzgesetz – PKG

Als Dachverband von 121 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und deren Angehörigen mit rund 1 Million Mitgliedern sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften begrüßt die BAG SELBSTHILFE das Vorhaben, die Kompetenzen der Pflegefachkräfte zu stärken.

Gleichzeitig muss aus ihrer Sicht die wichtigste Maßgabe bei der Erweiterung der Kompetenzen der Pflege sein, dass die Patientensicherheit dadurch nicht gefährdet wird. In diesem Zusammenhang ist differenziert zu klären, wo der bisherige ärztliche Standard beizubehalten ist und an welcher Stelle eine Absenkung geeignet erscheinen kann. Eine solche Klärung sollte dann auch unter Mitwirkung der Patientenvertretung erfolgen, hier sollte es noch ein entsprechendes Mitberatungsrecht der Patientenvertretung am Rahmenvertrag geben.

Sehr begrüßt wird hingegen die Erhöhung der Selbsthilfeförderung im Bereich der Pflege, die eine wichtige Maßnahme zur Sicherung des bürgerschaftlichen Engagements darstellt. Hier wären auf Landesebene noch weitere Maßnahmen zur Verbesserung des Verfahrens und Erhöhung der Transparenz wünschenswert.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

1. Heilkundeübertragung und wissenschaftliche Expertise zur heilkundlicher und pflegerischer Übertragung (§§ 73d SGB V, 33 Abs. 5a SGB V, 8 Abs. 3c SGB XI RefE)

Wie bereits eingangs dargestellt, wird die Änderung der Rahmenbedingungen für professionell Pflegende durch Schaffung von Möglichkeiten für Pflegefachpersonen, selbständig erweiterte heilkundliche Leistungen in der Versorgung erbringen zu können, zwar im Grundsatz positiv gesehen. Oberste Maßgabe der Heilkundeübertragung sollte jedoch die Qualität der Versorgung und die Sicherheit der pflegebedürftigen Person sein. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach der Begründung von § 73d umfangreiche Verlagerungen von Aufgaben vorgesehen sind, die die Patientensicherheit in vielerlei Hinsicht berühren können. Hinzu kommt die Situation bei seltenen Erkrankungen, bei denen heilkundliche Vorbehaltsaufgaben nur dann auf Pflegefachkräfte übertragen werden sollten, wenn deren Aus-, Fort- und Weiterbildung spezifisch die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, weswegen die Patientenvertretung nach dem bisherigen Entwurf nicht an der Erarbeitung des Rahmenvertrages beteiligt werden soll.

Dies gilt insbesondere im Hilfsmittelbereich, in dem gerade die Patientenvertretung über langjährige indikationsspezifische Erfahrung dahingehend verfügt, in welchen Bereichen sich die Verordnungskompetenz übertragen lässt und in welchen Bereichen doch die medizinische Begleitung der Hilfsmittelversorgung durch einen Arzt sinnvoll und notwendig ist.

Jenseits dessen fallen aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE wichtige Regelungen der Hilfsmittelversorgung aus der ärztlichen Versorgung bei einer Übertragung der Kompetenz weg, die noch entsprechend für Pflegekräfte gesetzlich ergänzt werden sollten: So müsste bei einer Übertragung der Verordnungsmöglichkeit im Hilfsmittelbereich noch geregelt werden, dass etwa eine Zuweisung der Patient*innen zu einem bestimmten Hilfsmittelversorger unzulässig ist- entsprechend der Regelung für die ärztliche Verordnung (§ 128 SGB V). Gleiches gilt auch für die gleichzeitige Abgabe von Hilfsmitteln durch Pflegekräfte, also die Kombination zwischen Verordnungs- und Abgabemöglichkeit, die zu Kostensteigerungen führen dürfte und die zu Recht im vertragsärztlichen Bereich untersagt ist. Schließlich sollte auch die Verpflichtung für Pflegefachkräfte festgelegt werden, die Hilfsmittel-Richtlinie, die im GBA mit Patientenbeteiligung erstellt wurde und insoweit wichtige patientenorientierte Maßgaben für die ärztliche Verordnung von Hilfsmitteln enthält, entsprechend zu beachten.

Die Schaffung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Übertragung von heilkundlichen und pflegerischen Aufgaben wird hingegen vollumfänglich begrüßt.

2. Modellprojekt zur Überprüfung der Kompetenzen bzgl. der gutachterlichen Feststellungen durch Pflegefachkräfte (§ 18e SGB XI RefE)

Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es im Grundsatz sinnvoll, dass zunächst ein Modellprojekt zu diesem Thema durchgeführt wird, da eine derartige Ausweitung der Kompetenzen erhebliche Beitragssteigerungen für Versicherte und Pflegebedürftige zur Folge haben kann. Insbesondere stellt sich die Frage, wie Zielkonflikten begegnet werden kann, die insbesondere dann bestehen, wenn die betreuende Pflegefachkraft vor Ort zugleich Begutachtende ist.

Gleichzeitig sieht sie aber auch, dass die Dauer bis zur Begutachtung in der Praxis – gerade im stationären Bereich - oft recht lang ist: insoweit kann sie die Prüfung der Idee einer Begutachtung durch Pflegekräfte in einem Modellprojekt nachvollziehen. Ferner scheinen hier die Pflegekräfte schon jetzt ohnehin relativ stark in die Begutachtung einbezogen werden. Die Frage des Interessenkonfliktes ist damit allerdings nicht beantwortet, vor diesem Hintergrund ist der gewählte Weg eines Modellprojektes sicherlich sinnvoll.

3. Zugang zu Präventionsleistungen (§ 5 Abs. 1a SGB XI RefE)

Die beabsichtigte Stärkung des Zugangs zur Präventionsleistungen nach SGB V durch eine sehr frühzeitige Bedarfserhebung, Beratung und Empfehlung in häuslicher Pflege ist grundsätzlich zu begrüßen, sofern dadurch die Pflegesituation entlastet werden könnte. An sich erscheint also eine verpflichtende Erstellung einer Rehabilitations- und Präventionsempfehlung sowie eine Umsetzung im Rahmen der Pflegeberatung sinnvoll. Vor dem Hintergrund des Personalmangels und des praktischen Ablaufs der Begutachtung inklusive der Berücksichtigung des Zeitfaktors in der Praxis hält die BAG SELBSTHILFE die Umsetzung jedoch für wenig praxistauglich. Schon jetzt fehlt es hier oftmals an der notwendigen Zeit im Rahmen der Begutachtung und der Beratung. 

4. Gesetzliche Verankerung des/der Beauftragten des Bundes für Pflege (§ 10a SGB XI)

Die gesetzliche Verankerung eines/ einer Pflegebeauftragten wird explizit begrüßt, zumal das Thema Pflege durchaus zeitweise bei schwierigen Diskussionen im Gesundheitsbereich in den Hintergrund gerät. Vor diesem Hintergrund wird ein*e solche*r Beauftragter/ Beauftragte aus der Sicht der Betroffenen für sehr wichtig erachtet.

Gleichzeitig erscheint die vorgesehene begrüßenswerte Einrichtung eines Beirates nach §10a Abs. 3 SGB XI n.F. noch zu vage. Mindestens in der Gesetzesbegründung sollte insoweit klargestellt werden, dass die maßgeblichen Verbände der Pflegebedürftigen nach § 118 SGB XI an dem Beirat zu beteiligen sind. 

5. Evaluation (§ 12 Abs. 2 SGB XI RefE)

Zwar wird die vorgesehene Evaluation seitens der BAG SELBSTHILFE begrüßt, allerdings noch eine Erweiterung für sinnvoll gehalten: Die Erkenntnisse sollten ebenfalls in allgemeinverständlicher und barrierefreier Form den gesetzlich Versicherten zur Kenntnis gegeben werden.  

6. Unterstützung für Pflegebedürftige, die ausschließlich Pflegegeld beziehen (§ 37 Abs. 3a SGB XI RefE)

Zu Recht wird in dem Entwurf festgestellt, dass Pflegebedürftige, die ausschließlich Pflegegeld beziehen, einer verstärkten Unterstützung bedürfen, damit die Pflege im häuslichen Bereich möglichst lange erhalten bleiben kann. Sofern der Entwurf hier weitere Beratungen und Hinweispflichten vorsieht, ist dies zwar positiv zu sehen, jedoch keinesfalls zur verstärkten Unterstützung ausreichend. Hier müsste es für die Betroffenen und pflegenden Angehörigen weitere Entlastungsangebote geben bzw. vorhandene sollten besser ausgestattet werden (siehe dazu unten).

Zu begrüßen ist aber, dass die Pflegekassen verpflichtet sein werden, entsprechend der Empfehlung der Beratungsperson die Inanspruchnahme der Beratungs- und Unterstützungsangebote die Pflegebedürftigen und die häuslich Pflegenden zeitnah zu unterstützen. 

7. Erbringung der pflegerischen und heilkundlichen Leistungen im Rahmen der HKP (§ 15a SGB V)

Im Zusammenhang mit der häuslichen Krankenpflege (HKP) möchte die BAG SELBSTHILFE über eine – vermutlich nicht gewollte – Auswirkung der Regelung des § 15a SGB V dieses Referentenentwurfs hinweisen. Denn in Regelungen zur HKP wird regelmäßig der Begriff der Versorgung durch „geeignete Pflegekräfte“ verwendet.

In § 15a Absatz 1 SGB V soll nunmehr geregelt werden:

„Pflegerische und heilkundliche Leistungen nach diesem“ (Anm. also SGB V) „und dem Elften Buch Sozialgesetzbuch werden durch Pflegefachpersonen erbracht. Pflegerische Leistungen dürfen nur unter Beachtung der Pflegeprozessverantwortung von Pflegefachpersonen nach § 4 des Pflegeberufegesetzes erbracht werden…..“

Nach diesseitigem Verständnis bedeutet das, dass auch bei HKP nach § 37 SGB V immer eine Pflegefachperson mit einer Ausbildung nach dem Pflegeberufegesetz eingesetzt werden müsste. Ein Einsatz von Pflegehelfern wäre damit ausgeschlossen.  Gleichzeitig liest sich der 2. Satz so, als beziehe sich der Vorbehalt nur auf die Leistungen nach § 4 Pflegeberufegesetz.

Dies birgt erheblichen Raum für Missverständnisse. Denn rein nach dem Wortlaut können künftig alle im SGB V und SGB XI vorgesehenen pflegerischen Maßnahmen, inklusive der Grundpflege oder einfachster Behandlungspflege (§ 37 SGB V), nur noch durch Pflegefachpersonen erbracht werden können. Das wäre jedoch fatal und kann im Hinblick auf den Fachkräftemangel nicht im Sinne des Gesetzgebers sein. Insoweit bittet die BAG SELBSTHILFE um entsprechende Klarstellung.

8. Empfehlungen zu Hilfsmitteln (§ 40 SGB XI RefE)

Im Grundsatz begrüßt die BAG SELBSTHLFE die vorgesehene Erweiterung in § 40 SGB XI hinsichtlich der Empfehlungen durch Pflegefachpersonen von Hilfsmitteln und der damit einhergehenden Vermutungswirkung hinsichtlich Notwendigkeit/Erforderlichkeit. Hier fordert die BAG SELBSTHILFE jedoch angesichts der inflationär bedingten Kostensteigerungen die umgehende Anhebung des Aufwendungsbetrages (siehe dazu auch unten).

9. Erhöhung der Kostenbeteiligung der Pflegekassen an den DiPAs (§ 40a SGB XI RefE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die beabsichtige Änderung Erhöhung der Kostenbeteiligung der Pflegekassen an entsprechenden DiPAs; gleichzeitig bleibt unklar, auf

welcher Grundlage die Beträge von 40 Euro (Nr.1) und 30 Euro (Nr. 2) berechnet wurden. Mit der Zulassung von DIPAs sollten diese zeitnah evaluiert werden, ob diese Beteiligung für die Betroffenen zu einer relevanten Entlastung in finanzieller Hinsicht führt. Denn die Ausweitung der digitalen Pflegeanwendungen zur Stabilisierung der häuslichen Pflegesituation kann ja durchaus dazu führen, dass andere Hilfesysteme entlastet werden; eine solche Entlastung sollte dann nicht überwiegend von den Betroffenen finanziert werden. 

10. Weiterzahlung der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung (§ 44a SGB XI RefE)

Die Weiterzahlung der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 44a SGB XI n.F. ist notwendig und eine gesetzliche Normierung zur Rechtssicherheit und einheitlichen Regelung zu begrüßen. Auf die darüber hinaus dringend erforderlichen weiteren Änderungen zur Absicherung der Pflegepersonen weist die BAG SELBSTHILFE in den Ausführungen im letzten Teil der Stellungnahme hin.

11. Selbsthilfeförderung im Bereich der Pflege (§ 45d SGB XI)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die vorgesehenen Änderungen und Erhöhungen sehr, hat allerdings noch Ergänzungsbedarf hinsichtlich der Förderung auf Landesebene:

Wünschenswert wäre zum einen eine Angleichung der Ebenen, insbesondere im Hinblick auf die Regelung, dass auf Bundesebene eine Förderung ohne weitere Zuschüsse möglich ist.

Ferner wird der BAG SELBSTHILFE berichtet, dass das Verfahren auf Landesebene oft sehr komplex und bürokratisch ausgestaltet sei, wohingegen die Förderung auf Bundesebene als weniger komplex erlebt wird. Vor diesem Hintergrund wird angeregt zu überprüfen, ob hier nicht Angleichungen vorgenommen werden können.

12. Niedrigschwellige Unterstützung von Pflegebedürftigen und Entlastung von pflegenden Angehörigen (§ 45a SGB XI RefE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt es, dass in Zukunft ein niedrigschwelligerer Zugang zu Angeboten vorgesehen ist. Gleichzeitig ist aus ihrer Sicht noch unklar, wer die sog. Einzelhelfer kontrollieren soll.

13. Umwandlungsansprüche (§ 45f, g SGB XI RefE)

Die Umwandlungsansprüche des §§ 45 f, g SGB XI werden positiv bewertet, da derzeit leider häufig zu wenige Angebote etwa in der Tagespflege existieren. Gleichzeitig wäre darüber hinaus eine weitere Flexibilisierung im Sinne eine umfassenden Entlastungsbudgets wünschenswert.

14. Netzwerkförderung (§45e SGB XI RefE)

Auch die Netzwerkförderung wird positiv gesehen; hier ist allerdings die Frage, wo die Geschäftsstelle angesiedelt werden soll und was nun genau der Unterschied zu den lokalen Allianzen sein soll.

15. Pflegerische Versorgung in gemeinschaftlichen Wohnformen (§ 92c SGB XI RefE)

Nach vorsichtiger Einschätzung der BAG SELBSTHILFE dürften die Regelungen des §92c zur Folge haben, dass durch den Fokus auf die trägerorientierten gemeinschaftlichen Wohnformen (und die Erhöhung der Förderung) alle anderen selbstorganisierten gemeinschaftlichen Wohnformen langfristig wegfallen könnten; einen wirklichen Grund für die Ungleichbehandlung in der Förderung gibt es dabei nicht. Insoweit wird gefordert, den Betrag von 214 € für alle gemeinschaftlichen Wohnformen entsprechend gleichmäßig zu erhöhen.

16. Regelungen zum Qualitätsausschuss Pflege (§ 113b SGB XI RefE)

Das Initiativrecht der Unparteiischen wird seitens der BAG SELBSTHILFE begrüßt; gleichzeitig wird angeregt zu prüfen, ob nicht eine kontinuierlich tätige Unparteiische (über den erweiterten Ausschuss hinaus) sinnvoll sein könnte, da dies dazu führt, dass diese kontinuierlich in die Arbeit des Qualitätsausschusses einbezogen ist; genau dies könnte dann auch die Ausübung des Initiativrechtes der Unparteiischen befördern.

17. Weitere Anliegen über den Gesetzentwurf hinaus

Über die angesprochenen Punkte zum Gesetzentwurf hat die BAG SLEBSTHILFE noch folgende Anliegen:

  • Die Anforderungen zur sozialen Absicherung für Pflegepersonen nach §§ 19 i.V.m. 44 SGB XI müssen dringend abgesenkt werden, so dass eine Anerkennung als Pflegeperson mit den entsprechenden Absicherungen (insb. im Hinblick auf die Rentenversicherung) auch dann erfolgt, wenn die Pflegetätigkeit in geringerem Umfang durchgeführt wird.  
  • Es ist gesetzlich zu normieren, dass nach Beendigung einer Pflegetätigkeit im häuslichen Umfeld die pflegende Person wieder ihre vorherige Stelle nahtlos besetzen kann - dies unabhängig davon, in welcher Weise die Pflegetätigkeit durchgeführt worden ist. 
  • Aufgrund der gestiegenen Kosten in den Pflegeeinrichtungen sind die Leistungen für die Kurzzeitpflege etc. deutlich anzuheben. Es muss eine Pflege für mindestens 14 Tage tatsächlich abgedeckt werden können und eine Dynamisierung erfolgen. Ebenso muss die Leistung für Verhinderungspflege sowie Gemeinsamer Jahresbetrag angepasst und deutlich erhöht werden. 
  • Der Betrag für monatliche Aufwendungen der Pflegekassen für zum Verbrauch bestimmter Pflegehilfsmittel nach § 40 SGB XI muss auf mindestens 60 Euro mit regelhafter Anpassung, z.B. aufgrund der Inflation, angehoben werden. Alternativ käme eine Anlehnung an die Veränderungsraten nach § 71 Abs.3 SGB V in Betracht.  
  •  

Düsseldorf/Berlin, 30. September 2024

 

Gesundheitspolitik
Stellungnahme

Zurück