Uneingeschränkt zu begrüßen ist jedoch die Fristregelung zur Umsetzung der Disease Management Programme (DMPs). Sie sollte jedoch dringend durch die Regelungen im Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) ergänzt werden, die dafür sorgen, dass die DMPs dann auch wirklich bei den Betroffenen ankommen. Denn derzeit ist die Situation so, dass die Betroffenen im GBA intensiv an der Erarbeitung eines neuen DMPs mitarbeiten und diese dann kaum in der Versorgung ausgerollt werden, weil die entsprechenden Verträge nicht geschlossen werden. Genau deswegen sind die Regelungen des GHG so notwendig, welche eine Verpflichtung festlegen, dass Krankenkassen ihren Versicherten die jeweiligen DMPs anzubieten haben.
Die Einführung eines Veto-Rechtes der Patientenvertretung wird zwar grundsätzlich begrüßt, allerdings ist eine organisatorische Stärkung der Patientenvertretung aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE dringender. Denn das Veto-Recht ist vom Grundsatz her eher ein destruktives Element, wohingegen sich die Patientenvertretung seit Anfang an – auch durch konstruktive Kompromissvorschläge - dafür einsetzt, dass Verbesserungen für Patient*innen möglichst zeitnah eingeführt werden; hierfür werden dann aber auch entsprechende personelle Ressourcen benötigt.
Die vorgesehene Überarbeitung der hausärztlichen Versorgungspauschalen für Menschen mit chronischen Erkrankungen kann aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE durchaus ein zweischneidiges Schwert sein und wird deswegen kritisch gesehen. Auf der einen Seite kann natürlich die Umstellung von Quartals- auf Jahrespauschalen durchaus dafür sorgen, dass unnötige Einbestellungen vermieden und schnellere Termine für wirklich Behandlungsbedürftige zur Verfügung gestellt werden können. Auf der anderen Seite gilt: Die Versorgungbedarfe von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen sind höchst unterschiedlich. Während manche Menschen eher auf eine gute fachärztliche Versorgung angewiesen sind, können andere – je nach Stadium oder Ausprägung der Erkrankung – durchaus eine engmaschige hausärztliche Versorgung benötigen. So konnte etwa im Bereich der Multiplen Sklerose festgestellt werden, dass Menschen mit fortgeschrittener MS - häufig gepaart mit Pflegebedarf und hoher Bedarfslage der symptomatischen Therapien - die hausärztliche Versorgung aus guten Gründen oft beanspruchen. Hier erschließt sich für die BAG SELBSTHILFE nicht, wie eine Sicherstellung der Versorgung erfolgen soll, wenn Angehörige fehlen, die die Versorgung begleiten und auf die Einhaltung von Terminen achten bzw. diese gegenüber den Ärzt*innen einfordern. So wünschenswert die Reduktion von sinnlosen Arztkontakten ist, so sehr besteht das Risiko mit dieser Änderung, dass sich die Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen deutlich verschlechtert, zumal die jährliche Versorgungspauschale deutlich niedriger als die Summe der derzeit bezahlten vierteljährlichen Quartalspauschalen ist. Auch dies dürfte dazu beitragen, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen deutlich seltener einbestellt werden. Hinzu kommt das Problem, dass Betroffene bei einem unterjährigen Hausarztwechsel u.U. vor dem Problem stehen, dass die Pauschale nur einmal bezahlt wird und so Hausärzte die Betroffenen erst wieder im nächsten Jahr annehmen. Auch dies verschlechtert die Situation der Betroffenen.
Hinsichtlich der vorgesehenen Vorhaltepauschalen hält die BAG SELBSTHILFE zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eine Ergänzung der Kriterien um das Kriterium „barrierefreie Ausgestaltung der Praxis“ für notwendig. Denn um eine bedarfsgerechte hausärztliche Versorgung für alle Menschen sicherzustellen, ist es erforderlich, dass Arztpraxen barrierefrei sind. Derzeit sind nur rund 21 Prozent der Arztpraxen barrierefrei ausgestaltet, so dass hier dringend Verbesserungen notwendig sind, um den Anforderungen der UN-BRK nach einem gleichberechtigten Zugang von Menschen mit Behinderungen zum Gesundheitssystem gerecht zu werden. Dabei erschöpft sich die Barrierefreiheit nicht nur an der baulichen Zugänglichkeit, sondern umfasst auch Maßnahmen für Hör- und Sehbehinderungen (z.B. Kennzeichnungen) oder die Verwendung leichter Sprache für Menschen mit geistigen Einschränkungen.
Zu den Regelungsvorschlägen nimmt die BAG SELBSTHILFE im Einzelnen Stellung:
I. Regelungen, die den Gemeinsamen Bundesausschuss betreffen
1. Erweiterung des Stellungnahmerechts (§ 92 SGB V GesE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Erweiterung des Stellungnahmerechts wissenschaftlicher Fachgesellschaften auf weitere Anwendungsgebiete im GBA, so zum Beispiel bei der sog. Rehabilitationsrichtlinie. Grundsätzlich haben die Erfahrungen gezeigt, dass die Stellungnahmen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften oft einen Mehrwert in Bezug auf aktuelle medizinische Entwicklungen mit sich bringen können. Vor diesem Hintergrund wird die vorgesehene Erweiterung positiv gesehen.
2. Fristsetzung für DMPs (§ 137f Absatz 1 SGB V GesE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Anpassung der Fristen für die Erarbeitung der DMP-Richtlinien an die Maßgaben der Methodenbewertungsverfahren. Gerade die Beratungen zu den jüngst im GBA beschlossenen DMPs hatten längere Zeit in Anspruch genommen; dennoch ist die Beratungsdauer nicht das Hauptproblem. Denn es ist jedoch leider festzustellen, dass die DMPs auch nach ihrer Fertigstellung oft nicht in der Versorgung ankommen. Ein gravierenderes Problem als die Beratungszeiten ist die schleppende oder nichtvorhandene Umsetzung der Richtlinien in den notwendigen Verträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern. Eine Frist oder eine Verpflichtung zur Schließung von derartigen Verträgen gibt es nach derzeitiger Gesetzeslage nicht, weswegen in vielen Bereichen kaum (DMP Osteoporose) oder gar keine (DMP-Rückenschmerz und Rheumatoide Arthritis) Verträge geschlossen werden. Vor diesem Hintergrund fordert die BAG SELBSTHILFE – über die begrüßenswerte Fristsetzung zur Erstellung der DMPs – die gesetzliche Kodifizierung einer Verpflichtung der Vertragsparteien zur Schließung von DMP-Verträgen innerhalb einer bestimmten Frist, wie sie nunmehr im Entwurf des Guten-Herz-Gesetzes enthalten ist. Dessen Inhalte zur Information der Versicherten über die DMPs, der Konkretisierung der Anforderungen an Schulungen sowie dem Verzicht auf das Zulassungsverfahren durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) sollten zeitnah in gesetzlich verabschiedet werden, um dann auch wirklich eine Verbesserung im Bereich der DMPs zu erreichen.
3. Vetorecht der Patientenvertretung und Erweiterung des Antragsrechtes (§ 140f Abs. 2 SGB V GesE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Regelungen zur Erweiterung der Antragsbefugnisse und das Vetorecht der Pateientenvertretung, hält aber – gegenüber einem Vetorecht – eine strukturelle Stärkung der Patientenvertretung für dringender. Denn ein Vetorecht ist im Grundsatz ein eher destruktives Mittel der Auseinandersetzung. Die Patientenvertretung tritt jedoch seit nunmehr über 20 Jahren anerkanntermaßen für eine Beschleunigung von konstruktiven Lösungen bei Versorgungsproblemen ein. Letztlich handelt es sich bei dem Vetorecht eher um ein Mittel der Verzögerung, was die Patientenvertretung – im Gegensatz zu anderen Bänken - trotz vieler Herausforderungen von schnellen Verfahren wie im ANMOG-Bereich immer abgelehnt hat.
Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist dieses temporäre Vetorecht vor allem dazu geeignet, Aufmerksamkeit bei klar unzureichenden Regelungen im Sinne eines „Hier stehen wir und können nicht anders“ zu generieren. Gleichzeitig bringt es die Patientenvertretung bei mittelguten/mittelschlechten Verbesserungen der Versorgung in das Dilemma, dass man hier den Eintritt einer leichten Verbesserung für Patient*innen – unter Umständen etwas – verzögert (wenn das Inkrafttreten nicht ohnehin nach den Regelungen der Richtlinie nicht deutlich in der Zukunft liegt). Möglicherweise erhöht das temporäre Vetorecht auch die Kompromissbereitschaft der Bänke, gleichzeitig bringt es jedoch aber auch das Risiko mit sich, dass die zu Beginn der Teilnahme der Patientenvertretung an den Beratungen des GBA und seither längst überholten Vorwürfe einer Verzögerung von Beratungen durch die Patientenvertretung wieder aufgewärmt werden.
Die BAG SELBSTHILFE hält in jedem Falle das vorgesehene Vetorecht nicht für ausreichend, die Patientenvertretung in substantieller Weise zu stärken.
Die maßgeblichen Verbände der Patientenvertretung haben im September 2023ein Forderungspapier „Stärkung der Patientenbeteiligung und -vertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und weiteren Beteiligungsgremien nach § 140f SGB V zur Berücksichtigung im Gesundheitsversorgungs-stärkungsgesetz“ veröffentlicht.
Darin sind verschiedene Vorschläge enthalten, die der Patientenvertretung eine konstruktive Mitgestaltung der Versorgung ermöglichen würden; Patientenbeteiligung muss aus Sicht der Verbände vor allem eine strukturelle
Stärkung der Patientenorganisationen und eine bessere Unterstützung
ermöglichen. Das Forderungspapier nennt hierzu beispielsweise den Ausbau der
Stabsstelle Patientenbeteiligung im G-BA, eine Ausweitung der Unterstützungsstruktur und spezifische Entschädigungen für die Sprecherinnen und Sprecher in den Unterausschüssen sowie den Ausbau der Koordination auf Landesebene. Die BAG SELBSTHILFE fordert insoweit die gesetzliche Umsetzung dieser Vorschläge.
Ausdrücklich begrüßt wird seitens der BAG SELBSTHILFE die Klarstellung, dass die Patientenvertretung auch bei den Regelungen zu den Modellvorhaben sowie § 136c SGB V ein Antragsrecht hat. Auch wenn es hier in der Vergangenheit im Gemeinsamen Bundesausschuss keine Probleme gab, heißt dies nicht unbedingt, dass dies auch so bleibt.
II. Weitere Regelungen
4. Konsiliarbericht bei Kurzzeittherapie (§ 28 Abs. 3 SGB V-neu) und vereinfachtes Antragsverfahren Kurzzeittherapie
(§ 92 Abs. 6 a SGB V GesE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die vorgesehene Regelung, wonach die Einholung eines ärztlichen Konsiliarberichts bei vertragsärztlicher Überweisung
auf psychotherapeutische Behandlung entfällt. Es steht zu hoffen, dass dadurch eine Beschleunigung zur Aufnahme einer Kurzzeittherapie ermöglicht wird. Ergänzend wäre aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE auch ein Verzicht eines Konsiliarberichts bei Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie direkt nach Entlassung aus einem psychiatrisch-psychosomatischen Krankenhaus sinnvoll.
Die vorgesehene Umstellung des Antragsverfahren für die Kurzzeittherapie von einem bisher zweistufigen auf ein einstufiges Verfahren unterstützt die BAG SELBSTHILFE ebenfalls.
5. Bewilligung von Hilfsmitteln, die von Versicherten beantragt werden, die in SPZs oder MZEBs in Behandlung sind (§ 33 Abs. 5c GesE), das Erfordernis weiterer Regelungen im Hilfsmittelbereich
Die vorgesehenen Regelungen zur Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens im Hilfsmittelbereich für Patient*innen, die in SPZs und MZEBs behandelt werden, werden seitens der BAG SELBSTHILFE sehr begrüßt. Menschen mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen und ihre Angehörigen leiden erheblich unter dem bürokratischen Aufwand, die mit dem Management der Erkrankung oder Behinderung verbunden sind; Entbürokratisierung und Beschleunigung sind insoweit dringend erforderlich.
Allerdings sind weder MZEBs noch SPZs bundesweit im ausreichenden Maß vorhanden, so dass ein gleichwertiger Zugang für alle Menschen mit schweren Behinderungen nicht vorhanden ist. Die gesetzliche Neuregelung allein ist daher keinesfalls ausreichend, vielmehr ist durch die frühzeitige Schaffung entsprechender Zentren und Plätze für die Betroffenen auch ein gleichwertiger Zugang als Prämisse zu gewährleisten. Denn nur dann kann die gesetzliche Neuregelung Wirkung entfalten und tatsächlich eine Beschleunigung eintreten.
Zudem halten wir es für erforderlich, dass die beabsichtige Neuregelung zur Beschleunigung nicht ausschließlich Versicherten, die in SPZs/MZEBs behandelt werden, vorbehalten bleibt. Vielmehr sollte diese Neuregelung für alle Patient*innen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen gelten, die auf Hilfsmittel angewiesen sind. Hier könnte ein Statusfeststellungsverfahren geschaffen werden, das den fortdauernden Hilfsmittelbedarf bei bestimmten stabilen Erkrankungen feststellt oder im Falle von progredienten Erkrankungen prognostiziert. Denkbar wäre auch eine Diagnoseliste analog zu den Listen zu langfristigen Heilmittelbedarfen (Liste mit den besonderen Verordnungsbedarfen und Liste zum langfristigen Heilmittelbedarf.
Sofern § 33 Abs. 5c SGB V n.F. vorsieht, dass die beantragte Hilfsmittelversorgung von dem Arzt innerhalb der letzten drei Wochen konkret empfohlen worden sein muss, damit die Vermutungsregelung zur Erforderlichkeit des Hilfsmittels greift, ist die Frist von drei Wochen zu kurz bemessen: vor Antragstellung ist gerade bei der umfangreichen Versorgung von schwerst- und mehrfach behinderten Kindern und Jugendlichen häufig eine persönliche Abstimmung mit den Hilfsmittelerbringern erforderlich (z.B. detaillierter Kostenvoranschlag, Bemaßungen, Aufbau des Hilfsmittels), die als notwendige Unterlagen der Verordnung beizulegen sind, jedoch sind auch hier wegen Personalmangels entsprechende Wartezeiten (2-3 Wochen) miteinzuplanen. Die BAG SELBSTHILFE fordert deshalb die Frist, innerhalb derer die Hilfsmittelversorgung aufgenommen werden muss, mit § 8 Abs. 2 S. 1 der Hilfsmittel-RL zu harmonisieren und entsprechend auf 28 Tage zu verlängern.
Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es jedoch dringend erforderlich, weitere Maßnahmen zur Reform des Hilfsmittelrechtes einzuleiten. Die BAG SELBSTHILFE hat dazu ein Forderungspapier erarbeitet, das sich unter dem unten angegebenen findet. Bereits dort hatte die BAG SELBSTHILFE eine bessere gesetzliche Abgrenzung des Hilfsmittelbegriffs von dem Begriff der Untersuchungs- und Behandlungsmethode gefordert, da diese Unklarheiten in der Praxis teilweise dazu führen, dass Betroffene Hilfsmittel nicht erhalten, weil sie angeblich Teil einer Untersuchungs- und Behandlungsmethode sind, für die der GBA noch keine positive Empfehlung ausgesprochen hat. Inzwischen zeigt sich das Problem des Hilfsmittelbegriffs auch in anderer Weise, da teilweise offenbar die Position vertreten wird, dass Hilfsmittel, die in Alten- und Pflegeheimen verwendet werden, nicht dem Hilfsmittelbegriff unterfielen (z.B. Dauerkatheder). Würde sich diese Auffassung durchsetzen, steht zu befürchten, dass die wichtigen und notwenigen Qualitätsanforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses und der Verträge der Krankenkassen dann nicht mehr relevant sind. Zudem werden dann wiederum Kosten der Versichertengemeinschaft auf die Betroffenen im Teilleistungssystem Pflege verlagert, obwohl es sich aus unserer Sicht um GKV-Leistungen bzw. um Behandlungspflege handelt. Um Versorgungssicherheit weiterhin zu gewährleisten benötigen wir also insoweit dringend die Beibehaltung der vorhandenen Versorgungsstrukturen. Hier bedarf es gesetzlicher Klarstellungen, die eine Art Bestandsschutz für im Hilfsmittel, die im Hilfsmittelverzeichnis seit langem gelistet sind, gewährleisten.
6. Streichung der Stärkung der Beteiligung der Länder in den Zulassungsausschüssen ggü. dem Referentenentwurf (§ 96 Abs. 2a SGB V RefE)
Die BAG SELBSTHILFE bedauert es, dass die Stärkung des Beteiligungsrechts der obersten Landesbehörden in den Zulassungsausschüssen, die noch im Referentenentwurf enthalten war, gestrichen wurde. Sie sollten – laut Referentenentwurf- künftig nicht nur mitberaten, sondern auch mitbestimmen können.
Die BAG SELBSTHILFE hat die bisherige Unterstützung der obersten Landesbehörden im Zulassungsverfahren für die MZEBs als sehr hilfreich empfunden, zumal ja die Zulassung von MZEBs insgesamt leider sehr schleppend verläuft. Vor diesem Hintergrund hält sie eine stärkere Stellung der Länder im Zulassungsverfahren für sehr sinnvoll, zumal die Länder dann auch insgesamt stärker auf die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung achten können.
7. Service- und Leistungsqualität der Kranken- und Pflegekassen (§ 217f Absatz 4 SGV V GesE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die vorgesehene Erhebung der Service- und
Leistungsqualität sehr. Denn bisher wurden wettbewerbliche Strukturen befördert, ohne dass Patient*innen aufgrund der Intransparenz des Systems kaum echte Auswahlmöglichkeiten hatten, wenn Sie nach den für sie relevanten Parametern der schnellen und unkomplizierten Bewilligung von Leistungen suchten. Insoweit wurde ein wettbewerbliches Verhalten gefordert, das praktisch kaum umsetzbar ist. Es steht zu hoffen, dass mit den vorgesehenen Regelungen eine stärkere Transparenz ins Leistungs- und Bewilligungsgeschehen der Krankenkassen gebracht wird.
Es ist auch zu begrüßen, dass diese Informationen jährlich - erstmals 2025 - auf einer digitalen und interaktiven Plattform veröffentlicht sollen und dass die Darstellung und Erläuterungen in einer für die Versicherten verständlichen und barrierefreien Form und Sprache erfolgen sollen. Die Kranken- und Pflegekassen werden verpflichtet, ihre Versicherten über dieses Angebot zu informieren.
Die BAG SELBSTHILFE vermisst jedoch in den Regelungen noch eine Patientenbeteiligung; welche Dienstleistungs- und Serviceangebote für Patient*innen in welcher Art wichtig und notwendig sind, wissen die Patient*innen im Zweifelsfall besser als der GKV-Spitzenverband alleine. Insoweit fordert die BAG SELBSTHILFE ein Mitberatungsrecht der maßgeblichen Patientenorganisationen an dieser Richtlinie; mindestens ein Stellungnahmerecht der Patientenorganisationen mit einer angemessenen Frist von einem Monat sollte hierzu im Gesetz enthalten sein.
Auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Plattform sollten die maßgeblichen Patientenorganisationen eingebunden werden, damit die Aspekte der Barrierefreiheit und der Verständlichkeit auch aus Patientensicht beurteilt werden können.
8. Entbudgetierung der Hausärzte, Versorgungspauschale und Vorhaltepauschale (§§ 87a Abs. 3c, 87 Abs. 2b, 2q SGB V GesE)
a. Entbudgetierung
Die BAG SELBSTHILFE sieht die vorgesehene Entbudgetierung der Hausärzte kritisch, zumal bereits jetzt eine Beitragserhöhung in Rekordhöhe ansteht. Hinzu kommt das Problem des Zugangs zu den Fachärzten. Zwar scheint der Gesetzentwurf davon auszugehen, dass durch die Entbudgetierung Mehrausgaben entstehen, so dass vermutlich damit dann auch eine Erhöhung des Gesamtvolumens der Vergütung in der ambulanten Versorgung einher gehen dürfte. Gleichzeitig bleibt jedoch die Frage, ob dies auf Dauer so bleibt. Denn wenn die Entbudgetierung nicht (weiterhin) mit einer Erhöhung des Gesamtvolumens einhergeht, dürfte diese zu Lasten der Fachärzte gehen - mit der Folge, dass GKV-Patient*innen noch schwieriger einen Termin bekommen, weil ihre Behandlung noch unattraktiver wird. Bereits jetzt sind Facharzttermine für GKV-Versicherte nur mit sehr langen Vorlaufzeiten von mehreren Monaten erhältlich, dies dürfte sich mit der Entbudgetierung der Hausärzte ohne dauerhafte fortschreitende Erhöhung des Gesamtvolumens noch weiter erhöhen. Eine solche dauerhafte fortschreitende Erhöhung des Gesamtvolumens dürfte wiederum weitere Beitragssteigerungen für Versicherte zur Folge haben.
b. Versorgungspauschalen
Die vorgesehene Überarbeitung der der Versorgungspauschale auf eine jährliche Abrechnung sieht die BAG SELBSTHILFE – wie bereits dargestellt – mit gemischten Gefühlen. Denn einerseits leiden auch Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen unter Wartezeiten, die vermutlich auch deswegen entstehen, weil Ärzt*innen die Betroffenen quartalsmäßig einbestellen, ohne dass es dafür einen Sinn gibt. Andererseits steht auch zu befürchten, dass die Umstellung dazu führt, dass es zu einer Unterversorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen kommt:
Denn die jährliche Versorgungspauschale belohnt es quasi, wenn Praxen wenige Kontakte zu Patient*innen haben. Dies kann sich sehr nachteilig auf chronisch kranke oder multimorbide Patient*innen und z.B. auf Menschen mit Demenz auswirken. Gerade für die Angehörigen von Menschen mit Demenz ist der regelmäßige Kontakt zum Hausarzt oft sehr wichtig, weil sich der Zustand immer wieder verändert und es immer neuen Besprechungsbedarf gibt.
Die hausärztliche Versorgung ist aber auch für Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen, etwa Multiple Sklerose in einem fortgeschrittenen Stadium von großer Bedeutung, da diese die hausärztliche Versorgung - häufig gepaart mit Pflegebedarf und hoher Bedarfslage der symptomatischen Therapien - aus guten Gründen oft beanspruchen. Die gewünschte Reduktion der Frequenz der Arztkontakte sollte also nicht zu Lasten derjenigen gehen, die genau diese benötigen. Hier erschließt sich auch nicht, wie eine Sicherstellung der Versorgung erfolgen soll, insbesondere wenn Angehörige fehlen, die die Versorgung begleiten und auf die Einhaltung von Terminen achten.
Zudem ist die in § 87 Abs. 2b S.5 und 6 SGB n.F. vorgesehene Formulierung, wonach eine jährlichen Versorgungspauschale zur Behandlung chronisch Erkrankter für die Versicherte eingeführt werden soll, bei denen „mindestens eine lang andauernde, lebensverändernde Erkrankung vorliegt, die einer kontinuierliche Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel bedarf“, bereits nach dem Wortlaut zu unbestimmt formuliert.
Die Pauschale soll einmal innerhalb von vier aufeinanderfolgenden Quartalen durch eine Arztpraxis abzurechnen sein, unabhängig davon, wie oft Versicherte die Praxis aufsuchen. Neben der Gefahr der drohenden Unterversorgung und der Schaffung von Anreizen zur Minimierung des Patienten-Arzt-Kontaktes, die mit der Einführung der Pauschale einhergehen können, ist zudem völlig ungeklärt, wie und an wen die Pauschale im Falle eines Arztwechsels (aus unterschiedlichen Gründen) ausgezahlt wird und wie sich diese Unklarheiten auf die Versorgung der Versicherten auswirken. Unklar ist auch, welche Anreize sich durch die jahresbezogene Pauschale ergeben können im Hinblick auf Patienten, die zwar chronisch erkrankt sind, jedoch aktuell (noch) keinen kontinuierlichen Arzneimittelbedarf haben.
c. Vorhaltepauschalen
Soweit in § 87 Abs. 2n SGB V n.F. neue Regelungen zur Vorhaltepauschale vorgesehen sind, ist aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE insbesondere die Abhängigkeit dieser Vorhaltepauschale zur Versorgungspauschale zu kritisieren. Nach dem derzeitigen Wortlaut ist die Vorschrift so zu verstehen, dass eine Vorhaltepauschale für Versicherte, für die eine jährliche Versorgungspauschale abgerechnet werden kann, einmal jährlich zu zahlen ist. Im Gegenzug entfällt diese dann, wenn die Voraussetzungen zur Abrechnung der Versorgungspauschale nicht (mehr) vorliegen. Damit wird ein Anreiz für Ärzte geschaffen, Menschen mit chronischen Erkrankungen seltener zu behandeln.
Ferner sieht die Vorschrift zahlreiche Kriterien vor, die von Hausätzten zu erfüllen sind, damit die Vorhaltepauschale abgerechnet werden kann. Zwar ist es zu begrüßten, dass auf diese Weise die Grundaufgaben der hausärztlichen Versorgung stärker ins Gedächtnis und die Praxis überführt werden sollen. Gleichzeitig ist die Schaffung zahlreicher neuer Kriterien zur Abrechenbarkeit mit dem Risiko verbunden, dass eine Vielzahl der bestehenden Praxen diese Kriterien nicht alle erfüllen (können), so dass eine Unterversorgung drohen kann. Die Regelungen zur Vorhaltepauschale werden zusätzlich zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand aufgrund der notwenigen Erarbeitung der Kriterien, der Implementierung, der Prüfung und ggfs. etwaiger Widersprüche führen und damit zu einer weiteren Bürokratisierung und zu erheblichen Kosten.
Die BAG SELBSTHILFE sieht – ebenso wie die Fachverbände der Menschen mit Behinderung – hinsichtlich der genannten Kriterien Ergänzungsbedarf: Sie sollten zwingend auch die Barrierefreiheit von Arztpraxen umfassen. Denn um eine bedarfsgerechte hausärztliche Versorgung sicherzustellen ist es notwendig, dass Arztpraxen barrierefrei sind. Derzeit sind nur etwa 21 % der Haus- und Facharztpraxen barrierefrei. Hier besteht somit dringender Handlungsbedarf, den zuletzt auch der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in seinen abschließenden Bemerkungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland aus dem Jahr 2023 aufgezeigt hat.
Hinzu kommt, dass die Schaffung von mehr barrierefreien Arztpraxen ein Schwerpunkt des Aktionsplans für eine barrierefreies diverses und inklusives Gesundheitswesen ist, den die Bundesregierung aktuell erarbeitet. Vor dem Hintergrund, dass bereits in dieser nur noch sehr kurzen Legislatur auch mit der Umsetzung des Aktionsplans begonnen werden soll, muss bereits das vorliegende Gesetz-gebungsverfahren genutzt werden, um Anreize für barrierefreie Praxen zu setzen.
Zwar könnte der Bewertungsausschuss das Kriterium der Barrierefreiheit bereits nach der geplanten Neureglung aufnehmen, da es sich bei den in § 87 Abs. 2n S. 2 SGB V-neu vom Gesetzgeber benannten Kriterien um keine abschließende Aufzählung handelt. Es bestünde aber keine diesbezügliche Pflicht und damit nur eine geringe Wahrscheinlichkeit. Erst wenn im gesetzlichen Auftrag ausdrücklich steht, dass die Kriterien für die Auszahlung beziehungsweise Bemessung der Vorhaltepauschale auch die Barrierefreiheit der Praxis enthalten müssen, bestünde eine entsprechende Verpflichtung der Bewertungsausschusses.
9. Klarstellung zur Nutzung von Mitteln des Strukturfonds (§ 105 Abs. 1a S. 5 SGB V GesE; Ergänzung in § 105 Abs. 1a, S. 3 Nr. 9 SGB V)
Die BAG SELBSTHILFE hält – wie schon in ihrem Forderungspapier zur Schaffung eines Aktionsplans für ein barrierefreies, inklusives und diverses Gesundheitswesen gefordert - es für dringend erforderlich, den Ausbau von barrierefreien Praxen mit Mitteln des Strukturfonds zu fördern; hierzu ist aus ihrer Sicht eine Klarstellung bzw. eine Ergänzung erforderlich:
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt zwar, dass der Gesetzgeber mit der vorgesehenen Regelung das Abrufen der Förderung erleichtern möchte, indem er bestehende Unsicherheiten zur Verwendung der Fördermittel beseitigt. Allerdings besteht in der Praxis gleichermaßen die Unsicherheiten, inwieweit die Mittel des Strukturfonds auch zur Förderung von barrierefreien Arztpraxen eingesetzt werden können. Auch diesbezüglich ist eine Klarstellung dringend erforderlich; insoweit muss hier eine Ergänzung dahingehend vorgenommen werden, dass unter § 105 Abs. 1a S. 3 Nr. 9 die „Förderung der Barrierefreiheit“ aufgenommen wird.
10. Maßnahmen zur Bekämpfung des Fehlverhaltens im Gesundheitswesen (§ 197a Abs. 7 SGB V GesE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt Maßnahmen zur Bekämpfung des Fehlverhaltens im Gesundheitswesen. Die Vorschrift des § 197a Abs.7 SGB V n.F. lässt jedoch ein sehr umfangreiches Verfahren erwarten, so dass die BAG SELBSTHILFE die praktische Umsetzung als zweifelhaft ansieht. Positiv zu beurteilen ist die vorgesehene Einbeziehung der Landesverbände der Krankenkassen.
11. Weiterversicherung von Rentnern (§ 10 SGB V GesE)
Die beabsichtigte restriktive Änderung im Hinblick auf die Weiterversicherung von Rentnern in der GKV (§ 10 SGB V) lehnt die BAG SELBSTHILFE ab. Die Möglichkeit der Weiterversicherung in der GKV nach vorherigem Bezug einer Teilrente ist entgegen der Gesetzesbegründung nicht als Missbrauch anzusehen. Die vorgesehene Änderung im Hinblick auf Waisenrente und ehrenamtliches/freiwilliges Engagement ist zu stärken, dies insbesondere auch im Bereich der Unterstützung von erkrankten/pflegebedürftigen Menschen, die auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen sind.
12. Separate Bedarfsplanung für Kinder und Jugendlichen im Bereich der Psychotherapie (§ 101 Abs. 4a SGV GesE), weitere Regelungen für Heilmittelerbringer
Die psychotherapeutische Begleitung bei Kindern und Jugendlichen hält die BAG SELBSTHILFE für sehr sinnvoll; wir begrüßen daher eine separate Bedarfsplanung, sofern diese dann auch zu mehr Niederlassungsmöglichkeiten führt und dadurch deutlich mehr und schnellere Zugangsmöglichkeiten zu entsprechenden Angeboten geschaffen werden.
Die Regelung wird zum Anlass genommen, auf den ebenfalls massiven Mangel von Therapeuten/ Heilmittelerbringer hinzuweisen, auch wenn diese nicht der Bedarfsplanung unterfallen. Insgesamt sind hier bundeseinheitliche Regelungen unterschiedlicher Art erforderlich; insoweit wird um Aufnahme dieser Thematik in den Entwurf gebeten. Die Ausbildungsverordnung in der Physiotherapie beispielsweise ist immer noch aus dem Jahr 1994. Wie unterschiedlich die Ausbildungslandschaft ist, sieht man auf der Seite von "physio-deutschland", einem der Berufsverbände.
13. Aufnahme von Regelungen aus dem Entwurf für einen Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen
Die BAG SEBLSTHILFE hält es für sinnvoll, Regelungsvorschläge, die das Bundesministerium für Gesundheit in seinem Entwurf eines Aktionsplans für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen aufgenommen hat, in den vorliegenden Entwurf des GVSG einzuschließen, soweit absehbar ist, dass das GVSG noch zeitnah verabschiedet werden kann. Dies trägt zu einer Umsetzung des Aktionsplans bei, was zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung auch dringend erforderlich ist.
Düsseldorf/ Berlin, den 11.11.2024