Die BAG SELBSTHILFE teilt die Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit, dass der Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten in einem lernenden Gesundheitswesen Schlüsselfaktoren für eine qualitativ hochwertige Versorgung sind.
Ebenso teilt die BAG SELBSTHILFE auch den Befund des Ministerium im vorliegenden Referentenentwurf, dass bislang in Deutschland zwar an vielen Stellen im Gesundheitssystem Daten erzeugt werden, dass aber für eine mehrwertstiftende Nutzung nur die wenigsten Daten zugänglich sind und dass es an einer Validierung der Daten fehlt.
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE geht der vorliegende Referentenentwurf diese Problematik aber leider nicht beherzt und nicht konsequent genug an. Zwar sollen in einem ersten Schritt Verknüpfungen von Daten des Forschungsdatenzentrums Gesundheit mit den klinischen Krebsregistern ermöglicht werden. Dies ist aber in einem sequenzierten Gesundheitswesen mit einer Vielzahl nicht kompatibler Datensilos und nicht standardisierter Datensätze nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Stattdessen ist eine grundsätzliche Neuordnung der Datengewinnungsstrukturen erforderlich, die möglichst alle Akteure im Gesundheitswesen erfassen sollte.
Vor diesem Hintergrund muss auch die Fokussierung auf die Nutzung von Abrechnungsdaten mit einem Vorbehalt versehen werden, da hier eine Prüfung der Validität der Daten besondere Probleme aufwirft.
Mit allem Nachdruck wendet sich die BAG SELBSTHILFE gegen die Regelung des § 287a, mit der nunmehr den gesetzlichen Krankenkassen der Zugang zu den sensiblen Gesundheitsdaten der PatientInnen eröffnet werden soll. Zwar soll dies zum Schutz der PatientInnen erfolgen; die Erkenntnisse aus der Vergangenheit zum Krankengeldmanagement lassen jedoch leider befürchten, dass Krankenkassen diese Möglichkeit nutzen werden, um PatientInnen mit teuren und gleichzeitig risikoreichen Therapien – möglicherweise auch telefonisch - unter Druck zu setzen. Zu Recht wurden die Medizinischen Dienste gegründet, damit Krankenkassen eben keinen Zugriff auf die hochsensiblen Gesundheitsdaten ihrer PatientInnen haben; auch die Abrechnung über die Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgt aus diesem Grund. In der Gesetzesbegründung ist zwar niedergelegt, dass die telefonische Kontaktaufnahme die Ausnahme bleiben soll; eine solche Passage in der Begründung reicht jedoch nicht aus, um entsprechende Strategien zu verhindern. Insoweit hält die BAG SELBSTHILFE es für dringend erforderlich, diese Regelung zu streichen.
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es sicherlich begrüßenswert, dass der Referentenentwurf vorsieht, die Aufsicht über den Datenschutz zu harmonisieren.
Die Diskussion zum Datenschutz darf aber den Blick nicht dafür verstellen, dass das Kernproblem der Datennutzung in der unzureichenden Verknüpfung und der unzureichenden Validität der Daten liegt. So tritt die BAG SELBSTHILFE durchaus dafür ein, dass es künftig eine allgemeine Patientenidentifikationsnummer geben muss, da dies ebenfalls eine notwendige Grundlage für eine systemweite patientenbezogene Datennutzung ist. Die neu in § 2 Abs. 9 Nr. 1 GDNG vorgesehen anlassbezogene Forschungskennziffer kann nur als ein erster Schritt zu einer Patientenidentifikationsnummer angesehen werden.
Zu begrüßen ist ausdrücklich, dass im Arbeitskreis nach § 303 d Absatz 2 Satz 3 SGB V n.F. die Mitwirkung der Patienten- und Betroffenenvertretung nach § 118 SGB XI vorgesehen ist. Allerdings sollte diese Mitwirkung durch einen Verweis auf § 140 f Abs. 5, 6 und 8 SGB V flankiert werden, da der Kreis der Patientenorganisationen in beiden Vorschriften nicht identisch ausgestaltet ist.
Schließlich ist zu begrüßen, dass der vorliegende Referentenentwurf bereits Vorbereitungen zur Anschlussfähigkeit des nationalen Datenraums an den europäischen Datenraum treffen soll. Leider reflektiert der Referentenentwurf hierzu die noch bestehenden Schwächen des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Ausgestaltung des europäischen Datenraums viel zu wenig. In § 303 e Abs. 1 SGB V n.F. hebt der Entwurf beispielsweise allein auf die Zugänglichmachung von Sekundärdaten an Nutzungsberechtigte ab, ohne die Rolle der Patientinnen und Patienten als Inhaber der Daten zu reflektieren. Ferner wird auch im Hinblick auf den europäischen Datenraum die Thematik der Kompatibilität, Standardisierung, Verknüpfbarkeit und Validität der Datensätze im Entwurf nicht thematisiert.
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sind noch intensive fachliche Diskussionen erforderlich, damit ein gut strukturierter europäischer Datenraum auf der Basis eines gut strukturierten deutschen Datenraums die Grundlage für eine datengestützte Verbesserung der Versorgung und für eine optimal datengestützte agierende Forschung bieten kann.
Im Einzelnen ist zum vorliegenden Gesetzentwurf Folgendes auszuführen:
I. Datenerfassung/Datenbasis
Das GDNG soll erstmals eine Grundlage für die Zusammenführung massenhaft erhobener verschiedenster Datensammlungen durch unterschiedliche Akteure bilden.
Dabei ist nicht nur zu berücksichtigen, dass es technisch möglich sein muss, bestimmte Daten zusammenzuführen (Interoperabilität), sondern es muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass die zusammengeführten Daten reale Zustände und Beschreibungen wiedergeben, tatsächlich vergleichbar und darüber hinaus auch noch gleichwertig sind (Validität).
Das bedeutet, es darf beispielsweise keinen Unterschied machen, wer eine konkrete Diagnose in die verschiedenen Speicherorte (PVS, KIS, ePA, Register etc.) einstellt und zu welchem Zweck (Abrechnung, Forschungsprojekt, Qualitätssicherung, Strukturausgleich, Statistik etc.), wenn alle Daten gleich verwendet werden sollen.
Um gute Forschungsergebnisse aus einer umfassenden Datenforschung zu generieren ist zwingende Voraussetzung, dass die Daten, mit denen gearbeitet wird
- eine zumindest gute Qualität im Sinne einer zutreffenden Beschreibung von Zuständen aufweisen und
- für die Beantwortung der gestellten Abfrage zumindest geeignet sind.
Leider geht der Gesetzentwurf auf diese Herausforderung nicht ein. Es wird vielmehr unterstellt, dass die oben genannten Voraussetzungen bereits erfüllt seien. Das ist nach den umfassenden Erfahrungen der Patientenberatung und Patientenvertretung nicht der Fall.
1. Daten der gesetzlichen Krankenkassen
Die dem Forschungsdatenzentrum zu übermittelnden Daten der Kassen sind ganz überwiegend Abrechnungsdaten. Abrechnungsdaten wurden zur Abrechnung erstellt. Sie wurden nicht zum Zwecke der Forschung, Arzneimitteltherapiesicherheit, Patientensicherheit, Qualitätssicherung usw. erhoben. Das bedeutet, sie folgen einer eigenen Logik, die nichts mit realen Gegebenheiten zu tun haben muss. Den Anspruch auf eine vollständige Erfassung des Gesundheitszustandes eines Patienten haben sie nicht. Sie werden im Nachgang nicht korrigiert, wenn sich herausstellt, dass sie auch nach der Abrechnungslogik falsch eingetragen wurden.
Die Krankenkassen haben inzwischen erste umfassende Forschungsergebnisse dahingehend, ob vereinzelte Datenmengen qualitativ besser oder schlechter sind als andere und für die Forschung geeignet sein könnten. Dieses Wissen ist unbedingte Voraussetzung dafür, hochwertige Forschung mit den massenhaften Daten durchführen zu können.
Die Kassen sollten daher verpflichtet werden, diese Forschungserkenntnisse mit dem FDZ umfassend zu teilen und auch die NutzerInnen der FDZ-Daten darin zu schulen, mit den Daten adäquat umzugehen.
Langfristiges Ziel muss jedoch sein, die medizinische Datenforschung nicht auf Abrechnungsdaten aufzusetzen, sondern herauszufinden, anhand welcher Datensammlungen in Verbindung mit welchen Forschungsalgorithmen die besten Erfolge im Sinne von Patientenoutcomes (unter anderem PROMs und PREMs) erzielt werden.
Eine Vorabübermittlung der unbereinigten Daten, wie sie § 295a SGB V (Entwurf GDNG) vorsieht, wird das Problem der mangelhaften Qualität der Forschungsergebnisse verstärken. Zwar stehen dann jüngere Daten zur Verfügung, aber auf die darauf basierenden Erkenntnisse kann sich niemand verlassen.
Es kommt nicht darauf an, irgendwelche Ergebnisse zu produzieren, sondern Ergebnisse, die auch verlässlich zutreffend im Sinne der Patientensicherheit sind.
2. Sozialgeheimnis (§ 303a Abs. 2 SGB V RefE)
Die BAG SELBSTHILFE kann zwar die Begründung für die Streichung des Sozialgeheimnisses nachvollziehen, wonach die Behörden ohnehin an die Maßgaben des § 35 Abs. 1 gebunden sind; doch selbst wenn man nur eine deklaratorische Geltung der Regelung des derzeitigen § 303a annimmt, so führt diese doch die hohe Bedeutung dieses Grundsatzes vor Augen; vor diesem Hintergrund plädiert die BAG SELBSTHILFE für eine Beibehaltung der alten Formulierung.
3. Daten aus der elektronischen Patientenakte (ePA)
Bislang gibt es keine Untersuchungen dazu, inwiefern die von PatientInnen selbst erstellten Inhalte zu einer andere Datenqualität führen. Widersprechen sich Eintragungen häufiger? Sind sie fehleranfälliger? Werden sie besser korrigiert?
Es bedarf vor einer umfassenden Arbeit auch mit den ePA entsprechender Analysen, um das Risiko zu verringern, aus den Abfragen der Daten des FDZ Ergebnisse zu erzielen, die die Realität nicht widerspiegeln.
II. Datennutzung zum Zwecke der Arzneimitteltherapie- und der sonstigen Patientensicherheit
1. Datennutzung durch LeistungserbringerInnen (§§ 4f. GDNG)
LeistungserbringerInnen sollen gemäß § 4 GDNG-Entwurf ermächtigt werden, die selbst erhobenen Daten ohne Einwilligung der betroffenen PatientInnen zu verwenden, sofern die Nutzung der Evaluation der eigenen Leistung, der Qualitätssicherung, der Verbesserung der Patientensicherheit, medizinischen und pflegerischen Forschungszwecken bzw. statischen Zwecken dient.
Gemäß § 5 GDNG-Entwurf sollen die LeistungserbringerInnen jedoch lediglich im Rahmen von Forschungsprojekten verpflichtet werden, die Ergebnisse binnen 12 Monaten zu veröffentlichen.
Die BAG SELBSTHILFE kann nicht erkennen, warum diese Veröffentlichungspflicht lediglich im Rahmen von Forschungsvorhaben gilt. Jede Auswertung personenbezogener Daten durch LeistungserbringerInnen ohne Einwilligung der PatientInnen im Sinne von § 4 GDNG-Entwurf muss stets eine Veröffentlichung der Ergebnisse verpflichtend vorsehen. Dies schon deshalb, weil der Gesetzgeber der Ansicht ist, dass es für das Gemeinwohl so bedeutend ist diese Daten zusammenzuführen und auszuwerten, dass ausnahmsweise eine Einwilligung der PatientInnen nicht notwendig ist und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der PatientInnen zurücktritt. Dann ist es doch nur konsequent und ebenso Gemeinwohl erforderlich, die Ergebnisse auch offenzulegen.
2. Datennutzung durch gesetzliche Krankenkassen (§ 287a SGB V RefE)
Die BAG SELBSTHILFE lehnt die vorgesehene Neuregelung ausdrücklich ab, da sie in der vorgesehenen Regelung erhebliche Risiken für die sensiblen Gesundheitsdaten der PatientInnen sieht. Zu Recht ist man bisher davon ausgegangen, dass Krankenkassen – auch wegen des Wettbewerbsgedankens und der Maßgabe einer wirtschaftlichen Mittelverwendung – keinen Zugriff auf die Gesundheitsdaten der PatientInnen haben dürfen. Die Schaffung der Medizinischen Dienste geht auf dieses Verständnis zurück. Nunmehr sollen Krankenkassen offenbar unbeschränkten Zugang auf die Gesundheitsdaten der Versicherten bekommen und diese auswerten dürfen. Dies ist nicht hinnehmbar, zumal einige Krankenkassen in der Vergangenheit – etwa beim Krankengeldmanagement – dadurch aufgefallen sind, dass sie unzulässigen Druck auf ihre Versicherten ausgeübt haben. Derartige Strategien dürften bei einer solchen Datennutzung zunehmen, auch wenn an sich nur Kontaktaufnahmen aus den im Gesetz aufgezählten Gründen vorgenommen werden dürfen, die man aber durchaus auch weit auslegen kann.
Denn der Gesetzentwurf sieht über § 287a SGB V-GDNG-Entwurf vor, im Rahmen der leistungserbringerübergreifenden Gesundheitsdatennutzung den Krankenkassen nunmehr die entscheidende Aufgabe zukommen zu lassen, die Arzneimitteltherapiesicherheit, die Erkennung von Gesundheitsgefährdungen und die Früherkennung von seltenen Erkrankungen über die Auswertung der personenbezogenen Gesundheitsdaten der eigenen Versicherten zu gewährleisten. Die Kassen sollen insoweit ermächtigt werden, sich direkt mit den Auswertungsergebnissen an die Versicherten zu wenden.
Die BAG SELBSTHILFE widerspricht dem entschieden: Zum einen lässt sich aus umfassenden Datenanalysen allein in keiner Weise eine konkrete Gefährdung eines Individuums ableiten. Dafür sind umfassende Kenntnisse des Gesamtkontextes (Anamnese, sonstige klinische Informationen) erforderlich, über die die Kassen gerade nicht verfügen. Im Übrigen ist genau das eine ärztliche Leistung bzw. eine Leistung, die ApothekerInnen erbringen. Sofern die Kassen hier Personal einsetzen wollen, so sei auf den Fachkräftemangel hingewiesen, der Doppelstrukturen verbietet.
Zum anderen ist die Vermittlung von Gefährdungspotentialen ärztlicher/therapeutischer Maßnahmen durch Kassen erwartbar mit einem erheblichen Potential an Verunsicherung der PatientInnen verbunden. Weder kann davon ausgegangen werden, dass PatientInnen wirklich bewerten können, was ein Risiko von 2% beispielsweise für ihre eigene Erkrankung bedeutet, noch welche Konsequenzen das eigenmächtige Absetzen eines Medikaments ohne ärztliche/pharmakologische Begleitung mit sich bringen könnte.
Darüber hinaus drängt sich ein Zielkonflikt der Kassen auf zwischen ihrer Aufgabe einer wirtschaftlichen Verwendung der Gelder und der Aufgabe einer Versorgung ihrer Versicherten mit notwendigen Therapien, die vermutlich in einigen Fällen dann zugunsten der Wirtschaftlichkeit und zuungunsten der medizinisch notwendigen Versorgung der PatientInnen gelöst wird. Insbesondere besteht hier die Gefahr, dass – gerade in Zeiten knapper werdender Kassen – Versicherte mit sehr teuren und risikoreichen Therapien unter Druck gesetzt werden, trotzdem Versicherte auf diese Ansprüche haben. In der Vergangenheit hat es entsprechende Strategien bspw. bei Mukopolysaccharidose-Erkrankten gegeben, die – bei bestimmten Unterformen - sehr teure Therapien im 6-stelligen Bereich brauchen, bei denen aber die Erstattung über den Risikostrukturausgleich nur unzureichend knapp war. Derartige Kontaktaufnahmen werden auch nicht durch die Passage in der Gesetzesbegründung ausgeschlossen, wonach die telefonische Kontaktaufnahme die Ausnahme bleiben soll, da dies im Umkehrschluss ja durchaus die Möglichkeit eröffnet, eine solche telefonische Kontaktaufnahme zu unternehmen.
Es sei auch noch erwähnt, dass es Kassen gibt, die über eine so kleine Versichertengruppe verfügen, dass statistische Auswertungen der Daten der Kasse zu nicht aussagekräftigen Ergebnissen kommen. Die verschiedenen Kassen werden also ganz verschiedene Aussagen zur Gefährdung treffen und die Versicherten dann auch mit unterschiedlichen Empfehlungen versorgen. Das darf nicht sein, denn es führt automatisch zu einer ganz erheblichen Verunsicherung der betroffenen Patienten.
Dass hierbei – über die ePA hinaus – ein weiterer Widerspruch durch die Versicherten notwendig ist, wenn diese den Kassen nicht die Auswertung der eigenen Daten ermöglichen wollen, ist aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE nicht akzeptabel.
Hinzu kommt, dass mit der vorgesehenen Regelung auch vorhandene Strukturen ignoriert werden:
Für die Gewährleistung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) sind neben den ÄrztInnen und ApothekerInnen diverse Institutionen (BfArM, PEI, RKI etc.) bereits in der Verantwortung. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens sollte diese Strukturen stärken und nicht zu einer Doppelstruktur führen, die eine Konkurrenz der Institutionen, statt einer Zusammenführung von Kompetenzen fördert.
Angesichts der geringen Meldungen etwa bei unerwünschten Ereignissen bei Medizinprodukten oder Arzneimitteln besteht zumindest die Vermutung, dass diese zu selten an die eigentlich zuständigen Institutionen weitergeleitet werden, denn beispielsweise die Meldung von Nebenwirkungen ist stets mit einem nicht vergüteten erheblichen Aufwand der ÄrztInnen verbunden. Die automatisierte Erfassung der potentiellen Nebenwirkungen stellt einen wichtigen Schritt in Richtung AMTS dar. Allerdings muss dieser auch in den für die Kausalkettenuntersuchung geschaffenen Institutionen und nicht in den Kassen verankert werden. Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE verfügen die Krankenkassen nicht über die medizinische Kompetenz zu entscheiden, wann tatsächlich Gefährdungen für Patienten vorliegen; zudem sollten sie auch keinen Zugriff auf die sensiblen PatientInnendaten haben.
III. Kreis der Datennutzungsberechtigten / -forschungsberechtigten
Der Gesetzentwurf sieht vor, den ursprünglich eingeschränkten Kreis der Nutzungsberechtigten der Datensammlung des FDZ auf alle natürlichen und juristischen Personen in der EU auszuweiten (§ 303e Abs. 1 Entwurf GDNG).
Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE können aus diesem unbegrenzten Zugang erhebliche Gefahren für PatientInnen entstehen. Gerade bei kleinen Patientengruppen und seltenen Erkrankungen ist es bei pseudonymisierten oder anonymisierten Daten möglich, die Personen durch Verknüpfung mit anderen Daten zu identifizieren. Bei einem allgemeinen Datenzugang grundsätzlich aller, sollte daher mindestens ein Vetorecht der Patientenvertretung gegen die entsprechenden Anträge bestehen.
Solange dies jedoch nicht gewährleistet ist, muss der Kreis der Berechtigten begrenzt bleiben bzw. entsprechend strenge Kriterien gelten, etwa dass die Daten den europäischen Datenraum nicht verlassen dürfen. Je stärker also die Mitentscheidungsrechte der Patientenvertretung hier ausgestaltet sind, desto größer kann aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE der Kreis der Nutzungsberechtigten sein.
Ohnehin sollten zunächst dringend Erfahrungen mit den bereits jetzt Berechtigten gesammelt werden, um Fehler, Datenschutzprobleme (z.B. wegen der Rückverfolgbarkeit, ungeeignete Daten etc.) mit anerkannt verlässlichen Akteuren zu sammeln.
Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum von Anfang an Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht für eine äußerst geringe Aufwandsentschädigung auf die Daten der Versichertengemeinschaft zugreifen dürfen sollen.
Hinzu kommt Folgendes: Bei einer unbegrenzten Eröffnung des Nutzerkreises hinsichtlich der umfassenden Datennutzung über das FDZ entfällt das im Rahmen des GDNG-Entwurfes stets unterstellte Gemeinwohlinteresse. Ohne Gemeinwohlinteresse darf jedoch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der PatientInnen nicht zurücktreten. Insgesamt bedarf es zunächst eines Katalogs, der im Einvernehmen mit den maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V) zu erstellen ist, wann von Gemeinwohl bei der Datennutzung ausgegangen werden darf.
Zudem müssen Versicherte, die feststellen, dass sie betreffende Abrechnungsdaten nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen, das Recht auf Widerspruch der Nutzung erhalten. Denn die Nutzung falscher Daten kann per se nicht zum Gemeinwohl beitragen. Im Gegenteil, das Gemeinwohl verlangt vielmehr, dass PatientInnen, die feststellen, dass fehlerhafte Daten verwendet werden, dafür Sorgen tragen können, dass diese Daten aus dem System entfernt werden.
IV. Datenzusammenführung
Die Daten der Krebsregister sollen mit den sonstigen an das FDZ gelieferten Daten zusammengeführt werden.
Aktuell würde dies jedoch dazu führen, dass die qualitativ deutlich besseren Daten aus den Krebsregistern mit Daten vermengt werden, die eine andere Zweckrichtung haben und weder vergleichbar noch gleichwertig sind.
Auch hier bedarf es umfassender Forschungsarbeiten, unter welchen Voraussetzungen eine Zusammenführung überhaupt sinnvoll ist.
Der Zusammenführung mit Genomdaten wird seitens der BAG SELBSTHILFE ausdrücklich widersprochen. Bezüglich dieser Daten sind die PatientInnen besonders schützenswert. Dies betrifft sogar alle „genetischen Angehörigen“. Vor dem Hintergrund, dass diese Daten mit eher geringwertigeren Abrechnungsdaten zusammengeführt werden sollen, bleibt die Frage, ob hier überhaupt ein hoher Nutzen der Datenzusammenführung erreicht werden kann. Ein solcher hoher Nutzen wäre jedoch angesichts der extrem hohen Schutzwürdigkeit dieser Daten dringend erforderlich.
V. Datenrückverfolgbarkeit (§ 287 Abs. 2 SGB V)
Die BAG SELBSTHILFE widerspricht entschieden der Forschungsdatennutzung mit nicht zuvor anonymisierten Sozialdaten. Gerade für chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung droht hier eine besondere Diskriminierungsgefährdung, wobei ein Nutzen für sie nicht erkennbar ist. Der bestehende Abs. 2 ist zu belassen.
Zudem bedarf es eines umfassenden Schutzes von Genomdaten. Hier ist im Einvernehmen mit den maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V) eine Routine zu entwickeln, wie trotz der generellen Rückverfolgbarkeit insofern Forschung möglich ist.
VI. Datenqualität / Forschungsqualität
Das Bewusstsein darüber, dass durch die Digitalisierung eigene Fehler und Gefährdungen geschaffen werden, muss dazu führen, dass sich diesen Herausforderungen gestellt wird und Prozesse bzw. Arbeitsmittel derart angepasst werden, dass diesen Bedrohungen entgegengewirkt wird.
Auch insoweit bedarf es eigener Strukturen, die zur Aufgabe haben, die Datenqualität sicherzustellen und zu evaluieren.
VII. Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Einrichtung einer gesonderten Datenzugangs- und Koordinierungsstelle für Gesundheitsdaten. Zwingend erforderlich ist dabei jedoch die finanziell gut ausgestattete strukturelle Einbindung und Mitberatung der maßgeblichen Patientenvertretung (§ 140f SGB V).
Es geht um die Nutzung der Daten der Versicherten. Nach dem Gesetzentwurf ist bislang nicht vorgesehen, diejenigen, die ihre Daten kostenfrei und dabei in weiten Teilen ohne jede Widerspruchsmöglichkeit zur Verfügung stellen, angemessen an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen sind, wie und durch wen die Daten künftig genutzt werden. Insoweit ist die Beteiligung der Patientenorganisationen dringend erforderlich.
VIII. Strafbarkeit/Sanktionierung bei unbefugter Datennutzung
Es bedarf entsprechender Sanktionen, um dem Missbrauch der Nutzung der Daten der Versichertengemeinschaft wirksam zu begegnen und eine wirksame Abschreckung zu demonstrieren. Diese sind im Einvernehmen mit den maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V) zu entwickeln. Darüber hinaus ist auch die Frage zu klären, was mit Abfragen zu geschehen hat, die missbräuchlich erhoben wurden.
IX. Redaktionelle Ergänzung der maßgeblichen Patientenorganisationen des SGB V in § 303d SGB V
In § 303d sind bisher nur die maßgeblichen Pflegebedürftigenverbände nach § 118 (SGB IX) als Teilnehmer des Arbeitskreises genannt; da die Diskussion aber natürlich auch den Bereich der Krankenversicherung betrifft, müssten die maßgeblichen (Patienten-) organisationen nach § 140f SGB V ebenfalls genannt werden; der Kreis der angesprochenen Organisationen ist nicht deckungsgleich.
X. Rückfragen des Bundesministeriums für Gesundheit zur Ausgestaltung der Weiterleitung der Daten aus der ePA ans FDZ und der Widersprüche
Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE sollte jenseits der Frage von Opt-In und Opt-Out überhaupt einmal geklärt werden, wie der konkrete Nutzen für die PatientInnen ausfällt; hierfür ist insbesondere die Patientenperspektive in den Fokus zu nehmen. Denn wenn die Datenqualität der ePA-Daten und der Abrechnungsdaten für Forschungszwecke wirklich zur Verbesserung der Versorgung geeignet ist, werden PatientInnen in der Regel der Nutzung zustimmen bzw. nicht widersprechen. Es muss dabei aber auch transparent dargestellt werden, wo die Daten jeweils landen und wer Zugriff auf sie hat; dies gilt gerade für die europäische Ebene, wo aus unserer Sicht nach wie vor unklar ist, ob es überhaupt Einwilligungs- und Widerspruchsmöglichkeiten der Versicherten geben wird und wie diese ggf. ausgestaltet sein werden.
Zudem muss gewährleistet sein, dass die jeweilige Aufklärung barrierefrei und für alle Menschen verständlich gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention ist, alsou. a. auch in leichter Sprache. Die Voraussetzungen dürfen nicht hinter nationale Normen wie z. B. die Patientenrechte gem. §§ 360 a-h BGB zurückfallen.
Das BAG SELBSTHILFE sieht insgesamt die Gefahr, dass der persönliche Schutz der Daten der Betroffenen durch Verfahrensvereinfachungen,
z. B. um Zugang zu Daten der Kranken- und Pflegeversicherung für Forschungszwecke gem. § 75 SGB X zu erhalten, aufgeweicht wird. Deswegen nimmt die BAG SELBSTHILFE die Frage nach der praktikablen Ausgestaltung von Widersprüchen nochmals zum Anlass, um sich bzgl. der ePA für lebensnahe und möglichst einfache barrierefreie Verfahren bei Widersprüchen gegen die Opt-Out-Lösung einzusetzen, auch wenn sie – wie eingangs dargestellt - die Klärung des Nutzens für die PatientInnen für vorrangig erachtet. Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es grundlegend wichtig, dass die Versicherten auch wirklich effektiv ihr Recht zum Widerspruch in der Praxis umsetzen können. Gerade die Verhinderung der Umsetzung durch komplizierte Verfahren dürfte eines der größten Risiken für Verschwörungstheorien sein und ist zudem nicht mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (RiS) verfassungsrechtlich zu vereinbaren. Denn verfassungsrechtlich ist die Einwilligungslösung nach wie vor die bessere Option zur Sicherung des RiS; wenn man schon eine verfassungs- und datenschutzrechtlich schwierigere Lösung über Opt-Out-Lösungen wählt, müssen die Verfahrenswege möglichst einfach, barrierefrei ausgestaltet und für jeden erreichbar sein. Insoweit sollten nicht nur nutzerfreundliche und barrierefreie digitale Optionen zur Ausübung des Widerspruchsrechtes eingeführt werden, sondern auch Beratungsstellen, wie etwa Pflegestützpunkte, sollten in die Lage versetzt werden, entsprechende Widersprüche aufzunehmen und weiterzuleiten. Die MitarbeiterInnen sollten in der Beratung entsprechend geschult werden, um über die Fragen der PatientInnen zur ePA beraten zu können. Ähnliches gilt auch für Beratungsstellen der Selbsthilfe, da bestimmte Indikationsbereiche auch besonders hohe Risiken der Diskriminierung mit sich bringen, etwa eine HIV-Infektion. Insoweit sollte auch hier geprüft werden, ob diese nicht die Widersprüche aufnehmen und weiterleiten könnten- soweit sie dazu bereit sind.
Düsseldorf/ Berlin 11.08.2023