Gleichzeitig möchte die BAG SELBSTHILFE darauf hinweisen, dass die Frage einer ethischen Zulässigkeit von gruppennütziger Forschung bei nichteinwilligungsfähigen Personen als Grundsatzfrage von den Mitgliedsverbänden unterschiedlich beurteilt wird und der Einsatz von gruppennütziger Forschung teilweise als unzulässig eingestuft oder eine differenzierte Haltung eingenommen wird; insoweit ist diese Stellungnahme nicht als Befürwortung von gruppennütziger Forschung an Einwilligungsunfähigen zu verstehen, sondern als Rückmeldung zu Verbesserungsmöglichkeiten hinsichtlich der Verständlichkeit und Gesetzeskonformität der Broschüre.
Es besteht Konsens, dass eine klinische Forschung, die den Teilnehmenden nicht zugutekommt, - wie im Übrigen jede Form der klinischen Forschung an Menschen - eine informierte Einwilligung erfordert. Eine solche ist in dieser Konstellation zu Studienbeginn wegen des Eintritts der Einwilligungsunfähigkeit zwar nicht möglich; gleichwohl ist es aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE die Aufgabe von Vorlagen/ Textbausteinen, für die gruppennützige Forschung ein Instrument für eine möglichst gute Einwilligung im Vorhinein bereitzustellen. Dabei müssen sich alle Beteiligten bewusst sein, dass eine solcher vorherige Zustimmung das Erfordernis einer informierten Einwilligung nicht erfüllen kann und daher zumindest so weit wie möglich umfassend informiert sowie die Möglichkeit zu einer Abwägung gegeben werden muss. Insoweit sind die Anmerkungen auch als Versuch zu werten, hier diese vorherige informierte Zustimmung durch entsprechende Aufklärung möglichst umfassend auszugestalten. In diesem Zusammenhang fehlt aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE in den Textbausteinen noch der Hinweis darauf, dass bei späterem entgegenstehendem natürlichen Willen die Teilnahme einer bereits laufenden Studie abgebrochen werden kann und soll.
Zudem möchte die BAG SELBSTHILFE – aufgrund der Komplexität des Themas und der sprachlichen Besonderheiten des Inhalts der Broschüre – anregen, dass parallel zur Broschüre auch ein kurzer, einfacher Flyer in einfacher Sprache gefertigt wird, der auf diese Möglichkeit verständlich hinweist.
Darüber hinaus hat sie an der Broschüre noch folgenden konkreten Änderungsbedarf:
1. Überschrift
Zur besseren Verständlichkeit und zur Klarstellung hält die BAG SELBSTHILFE folgende Einfügungen für sinnvoll:
„Gruppennützige klinische Prüfung von Arzneimitteln – wie lege ich vorsorglich fest, dass ich teilnehmen möchte, auch wenn ich dann entscheidungsunfähig bin?
2. Andere Datengewinnung (Punkt 1.1., 6. Spiegelstrich auf der 2. Seite)
Aus der Sicht der BAG SELBTHILFE ist der Satz schwer verständlich, weswegen hier ebenfalls eine Einfügung hilfreich sein könnte:
Es ist zwingend erforderlich, dass die klinische Prüfung nur deshalb mit nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen durchgeführt wird, da die erforderlichen Daten nicht auf anderem Weg, also von einwilligungsfähigen Erwachsenen gewonnen werden können.
3. Zusätzliches Risiko gegenüber der Standardbehandlung (Punkt 1.1., 9. Spiegelstrich, 2. Seite)
Hier würde die BAG SELBSTHILFE es befürworten, wenn der Vergleich mit der Standardbehandlung klarer benannt wird:
Die Teilnehmenden werden im Vergleich zur Standardbehandlung nur einem minimalen zusätzlichen Risiko und einer minimalen Belastung ausgesetzt.
4. Zusätzliche Einwilligung des/der gesetzlichen Vertreter*in (Punkt 1.1., 11. Spiegelstrich, 2. Seite)
Auch hier würde die BAG SELBSTHILFE es befürworten, dass klargestellt wird, dass die Einwilligung des/der gesetzlichen Vertreter*in zusätzlich zu den Festlegungen des Betroffenen vor Eintritt der Einwilligungsfähigkeit vorliegen muss:
„Es liegt zusätzlich eine Einwilligung nach Aufklärung der gesetzlichen Vertreterin oder des gesetzlichen Vertreters vor.“
5. Formulierung der Festlegung (Punkt 2.1, S. 4)
Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE erfordert diese Erklärung ein möglichst weitgehendes Verständnis der klinischen Prüfung; sie hält daher eine besonders ausführliche ärztliche Aufklärung für notwendig. Ergänzungsbedürftig ist aus ihrer Sicht daher folgende Passage im 2. Absatz:
„Sie sollten Ihren Willen möglichst konkret und ohne allgemeine Formulierungen beschreiben. Dazu sollten Sie vor allem bestimmen, im Fall welcher konkreten Erkrankungen und für welche im Rahmen einer gruppennützigen klinischen Prüfung erfolgenden konkreten medizinischen Maßnahmen die Festlegung gelten soll.“
Hier sollte noch der Hinweis angefügt werden, dass diese Erklärung ein möglichst weitgehendes Verständnis der klinischen Prüfung und der Maßnahmen voraussetzt und daher dazu eine ausführliche ärztliche Aufklärung erforderlich ist.
6. Einwilligung in die medizinischen Maßnahmen (3. Medizinische Maßnahmen, für die die Festlegung gelten soll, S.5)
Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE sollte den Betroffenen verdeutlicht werden, dass es hier um eine Einwilligung geht. Vor diesem Hintergrund hält sie folgende Änderung für erforderlich:
In den oben beschriebenen Situationen willige ich ein, an einer gruppennützigen klinischen Prüfung von Arzneimitteln teilzunehmen, und erkläre mich in diesem Rahmen zur Duldung der folgenden medizinischen Maßnahmen bereit (bitte jeweils ankreuzen):
Jenseits dessen wird darauf hingewiesen, dass die Liste leider wegen ihrer Länge sicher von vielen Menschen nicht verstanden wird. Insoweit wird darum gebeten zu prüfen, ob man diese Listen nicht auf weniger Untersuchungen beschränken kann.
7. Abnahme von Kapillarblut am Ohrläppchen (3. Medizinische Maßnahmen, für die die Festlegung gelten soll, S.6, 23. Kästchen)
Bei der Abnahme von Kapillarblut am Ohrläppchen wird eine Salbe eingesetzt, die brennen und vor allem bei Kontakt mit Augen und Schleimhäuten sehr brennen kann. Ob man dies später in Kauf nehmen will, sollten die Betroffenen selbst entscheiden können. Insoweit sollte hier ein gesonderter Hinweis erfolgen:
- Entnahme von Kapillarblut (Blutentnahme am Ohrläppchen) und Einsatz einer entsprechenden brennenden Salbe
8. Mutmaßlicher Wille in nichtgeregelten Situationen (Punkt 5, 2. Spiegelstrich, Aussagen zur Verbindlichkeit, Auslegung und Durchsetzung und zum Widerruf der Festlegung, S. 7)
Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es schwierig, dass über die Textpassage eine Einwilligung in Fällen „konstruiert“ werden kann, in der sie weder gegeben wurde noch ein Konsens aller An- und Zugehörigen besteht, dass ein solcher mutmaßlicher Wille vorhanden ist.
Letztlich kann dann im Fall der Fälle die Position einer Person ausreichen, die hier besonders genannt ist, ohne dass es eine vorherige Regelung des Betroffenen gibt oder klar feststeht, dass er oder sie sich vorher entsprechend geäußert hat. Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE überdehnt diese Idee einer mutmaßlichen Einwilligung in eine Studie den Sinngehalt des Gesetzes bei unklaren Situationen.
9. Mutmaßlicher Wille bei einem möglichen Widerruf ((Punkt 5, 3. Spiegelstrich, Aussagen zur Verbindlichkeit, Auslegung und Durchsetzung und zum Widerruf der Festlegung, S. 7)
Bei der Frage, ob nicht ein Widerruf durch den Betreffenden stattgefunden hat und dies von seinem Umfeld unterschiedlich gewertet wird, bleibt die Frage, ob die Passage, die bei einer Patientenverfügung Sinn macht, hier auch angezeigt ist. Denn anders als bei der Patientenverfügung hat der/die Patient*in keinen konkreten Nachteil, wenn die Festlegungen einer Einwilligung zur Teilnahme ins Leere laufen und die Person dann nicht an der Studie teilnimmt. Insoweit wäre aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE bei Unklarheiten davon auszugehen, dass die Einwilligung nicht mehr fortbesteht.