Stellungnahme zum Entwurf der Rahmenempfehlungen Vorsorge und Rehabilitation

Als Dachverband von 121 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und deren Angehörigen sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften hält es die BAG SELBSTHILFE für nicht hinnehmbar, dass in der Fortschreibung jeglicher Bezug auf das SGB IX fehlt. Die Empfehlungen sind insoweit offensichtlich ausschließlich auf das Ziel der Unterstützung des Erfolgs der Krankenbe-handlung durch medizinische Leistungen zur Rehabilitation und nicht auf die wirksame Erreichung von Teilhabezielen zur Krankheitsfolgenbewältigung ausgerichtet. Sie entsprechen deswegen nicht den nach

§ 7 Abs. 1 SGB IX auch für die GKV geltenden gesetzlichen Anforderungen der §§ 11 SGB V; 42 SGB IX. Denn nur in § 42 SGB IX werden die Ziele und Aufgaben der medizinischen Rehabilitation umfassend dargestellt, § 11 Abs. 2 SGB V hingegen enthält nur eine Kurzfassung und verweist darauf, dass das SGB IX zu beachten ist. Dementsprechend ist die Definition von Rehabilitation stark verkürzt und nicht ausreichend. Maßgeblich sind hier §§ 4, 42 SGB IX für alle Rehabilitationsträger, wobei § 42 Abs. Abs. 3 SGB IX die entspre-chenden Leistungsansprüche beschreibt.

 

Selbst wenn man eine ausführliche Wiedergabe der Bestimmungen des SGB IX für nicht erforderlich oder nicht sinnvoll hält, ist ein Hinweis auf die verbindliche gesetzliche Grundlage deshalb geboten, damit sich Rehabilitanden und Leistungserbringer ggf. bei der Verhandlung des Rehakonzeptes oder bei der Durchsetzung von Ansprüchen konkreter darauf berufen können, z.B. Besucher einer WfbM.

1. Barrierefreiheit/ Teilhabebedarfe

Ferner fehlt jede Vereinbarung im Hinblick auf Barrierefreiheit. Das Wort taucht im gesamten Text nicht auf. Diesseits erscheint fraglich, ob dies überhaupt im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention und des § 36 SGB IX rechtmäßig ist. In jedem Falle muss die Barrierefreiheit Bestandteil der Versorgungskonzepte sein und damit auch Bestandteil der Vergütungen. Selbst wenn nicht alle Einrichtungen für jeden barrierefrei sind, muss es dennoch eine ausreichende Zahl geben, wie es die explizite Regelung des § 36 Abs. 1 S. 2 SGB IX festlegt. 

Barrierefreiheit darf dabei nicht zu eng gefasst werden: Es geht nicht nur um bauliche Maßnahmen: Vielmehr sind alle auf Grund verschiedener Beeinträchtigungen (motorisch, sinnesbezogen, kognitiv, kommunikativ, seelisch) wirksame Barrieren zu berücksichtigen. Da nicht überall sofort vollständige Barrierefreiheit herzustellen ist, sollte es einen ausdrücklichen Hinweis auf angemessene Vorkehrungen geben, wie sie die UN-BRK vorsieht.

Zwar wird den Einrichtungen eingeräumt, spezielle Eigenschaften ihrer Rehabilitandengruppen zu benennen und insofern zu verhandeln. Dennoch bleibt noch unklar, inwieweit dies tatsächlich gewollt und in der Praxis erreichbar ist. Aus den indikationsbezogenen Korridoren wird dies jeden falls nicht wirklich deutlich. Dies gilt insbesondere bei Vorliegen von Pflegebedürftigkeit oder schwerer Behinderung. Denn diese erfordern häufig nicht nur mehr Pflegekräfte sondern auch eine Anpassung des Reha-Konzeptes, z.B. mehr Einzeltherapien. Hier muss die Einrichtung um eine Anerkennung von solchen gegenüber der "Standard-Reha" höheren Bedarfen und Kosten ringen, ohne dass sie einen Anspruch darauf geltend machen kann. Es muss klar gestellt werden, dass die Versorgung von Menschen mit erhöhtem oder speziellen Reha-Bedarf eine gemeinsame Aufgabe ist, die gemeinsam zu lösen ist. Zu befürchten ist, dass solche Verhandlungen extrem schwierig werden, weil der Nachweis auf Mehraufwendungen im Rahmen von zahlreichen Standard-Rehamaßnahmen aufwendig sein kann und eben Regularien dazu nicht verhandelt sind. Das kann übrigens auch für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen oder kognitiven Beeinträchtigungen gelten. Deshalb muss es in der Rahmenvereinbarung dazu Regelungen geben.

Im Rahmen der Weiterentwicklung der Reha-Vergütung der RV nach § 15 Abs. 9 wird folgende Lösung angestrebt: "besondere Rehabilitationseinrichtungen beschrieben (werden sollen), die hochkomplexe Teilhabebedarfe abdecken und im neuen Vergütungssystem einen Sondervergütungssatz erhalten. Eine Definition dieser besonderen Einrichtungen wird derzeit erarbeitet“

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sollte mindestens eine solche Absichtserklärung bzw. Option im Text vorgesehen werden. Das mindeste ist, dass eine solche Regelung für Menschen mit Pflegebedürftigkeit fest vorgesehen wird.

2. Regelungen zur praktischen Ausgestaltung einer gemeinsamen Belegung einer Einrichtung durch GKV und RV

Zahlreiche Einrichtungen werden von der GKV und der RV gemeinsam belegt. Die Klientel ist aber oft sehr unterschiedlich. Es fehlt ein Hinweis darauf, wie dies praktisch gehandhabt werden soll: Denn der Personalbedarf/Ausstattung ist ja nicht allein GKV-spezifisch zu bestimmen, sondern muss ja auch für die DRV passen. Wenn man davon ausgeht, dass die GKV mehr behinderte und pflegebedürftige Rehabilitanden hat als die RV (in der Regel geeignet für den allgemeinen Arbeitsmarkt) muss es zu Konflikten bzgl. der Personalbemessung bzw. der Zurechnung von deren Kosten kommen. Hier muss es einen Verhandlungsspielraum auf Einrichtungsebene geben, der bislang nicht vorgesehen ist.

3.Vorsehen von spezifischen Angeboten über das Standardangebot hinaus

Die Rahmenempfehlungen sind vor allem im Hinblick auf die Qualitätsvorgaben und die Vergütung auf die großen Indikationsgruppen ausgerichtet. Es fehlt die Klarstellung, dass nicht nur die Tatsache von besonderen Bedarfen und Kosten vorgetragen werden kann, sondern dass es notwendig ist, auch spezifische Angebote vorzuhalten, die über das Standardangebot hinausgehen. Dies sei am Beispiel von Pat. mit Rheumatoider Arthritis, M. Bechterew oder Vasculitiden erläutert. Z.E. wird spezifische ärztliche rheumatologische Kompetenz benötigt inkl. umfangreichem Labor, ggf. Bildgebung, Medikation, z.a. aber auch eine spezifische Physiotherapie: Häufig genutzte Ausgangsstellungen können von RA-Patienten nicht eingenommen werden, SPa-Patienten benötigen spezifische Dehnlagerungen und Kyphose adaptierte Einheiten inkl. spezifischer Atemgymnastik. Nicht selten ist Fatigue eine relevante Symptomatik, auf die spezifisch eingegangen werden muss. Auch benötigen Patienten mit Fibromyalgie ein zumindest in Teilen spezifisches Programm. Diese Spezialisierungen drohen bei der Orientierung an Standardrehaindikationen verloren zu gehen.  

Ferner sei hier beispielhaft noch auf die spezifischen Bedarfe von Menschen mit Sehbehinderung (spezifisches Alltagstraining) oder mit ME/CFS hingewiesen. 

Es ist erforderlich, dass die Versorgung spezifischer Gruppen als gemeinsame Aufgabe dargestellt wird und von beiden Vertragsseiten in die Versorgung eingebracht werden kann bzw. muss. Sonst müssen Patienten als Bittsteller zu Rehaeinrichtungen und deren Trägern gehen, um angemessene Versorgung zu erbitten, und diese wiederum erscheinen als begehrliche Leistungsanbieter gegenüber den Kostenträgern mit der Folge langer, zäher, oft frustraner Verhandlungen.

4. Verordnung von Hilfsmitteln

Dass Verordnungen von Hilfsmitteln keine (vergütungsrelevante) Leistung von Rehaeinrichtungen sein soll, ebenso nicht Anpassungen (technisch eine Sache der OT, hier geht es um die funktionelle Anpassung) ist nicht hinzunehmen. Dies gilt insbesondere für Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich. Hier muss klargestellt werden, dass die Einrichtungen solche Verordnungen ausstellen und Hilfsmittel anpassen oder deren Anpassung veranlassen dürfen, wenn sie der Realisierung der Rehaziele dienen, und dass der entsprechende personelle Aufwand einrichtungsspezifisch berücksichtigt wird.

5. Frequenzangaben zur Häufigkeit von Therapien

Zudem ist nicht nachvollziehbar, auf welchen fundierten und tragfähigen Datengrundlagen insbesondere die Frequenzangaben zur Häufigkeit der Therapien basieren. Nach unserer Kenntnis durch die Vertretung im Beirat der GRV zur Umsetzung des § 15 Abs. 9 SGB VI weichen diese Angaben bei verschiedenen Indikationen erheblich von den langjährig aus den Entlassungsberichten der DRV erhobenen tatsächlich erforderlichen Anwendungsfrequenzen ab.

6. Fazit

Insgesamt kann konstatiert werden, dass bindend erscheinende Vorgaben in Rahmenempfehlungen auch aus fiskalischen Interessen der Kostenträger und Leistungserbringer nach langjährigen Erfahrungen in der Praxis schematisch umgesetzt werden, was dem Anspruch des Gesetzgebers nach individuell bedarfsorientierter

Leistungsgestaltung diametral entgegensteht. Auch insoweit wäre es wichtig klarzustellen, dass die individuell bedarfsorientierte Leistungsgestaltung die entscheidende Maßgabe bei der Leistungsbewilligung sein muss.

7. Spezifische Anforderungen an die neurologische Rehabilitation bei Menschen mit Multipler Sklerose

Zwar gibt es etwa zur Multiplen Sklerose die Rückmeldung, dass die im Entwurf enthaltenen Anforderungen für die Rehabilitationseinrichtungen grundsätzlich sinnvoll erscheinen. Allerdings müssten sich die hohen Anforderungen zwingend auch in der Vergütung niederschlagen. Insofern ist aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE die „Position der LE“ einer leistungsgerechten Vergütung zu begrüßen, sofern diese sich in den endgültigen Empfehlungen niederschlägt und bei den Vergütungssatzverhandlungen umgesetzt wird. Gleiches gilt für die bei der MS oftmals hohen Medikamentenkosten (Übernahme der GKV, sofern sie den zweifachen Tagessatz übersteigen).

Ergänzend halten wir es für sinnvoll und notwendig, dass eine schnellere Bewilligung der Rehabilitation erfolgt. Hierzu sollten die Anpassungen, die aufgrund des Intensiv- und Rehabilitationsgesetzes zum Juli 2022 für die Anschlussheilbehandlung und geriatrische Rehabilitation eingeführt worden sind, insgesamt übernommen werden und somit auch für sonstige Rehamaßnahmen, insbesondere für MS Patienten, gelten.

Ferner halten wir es für erforderlich, dass sowohl die Art der medizinischen Rehamaßnahme als auch die Dauer der Maßnahme für Neurologie im Allgemeinen und die MS im Speziellen nicht von der Krankenkasse festgelegt werden. Vielmehr sollte unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts der Patienten, also nur bei Bestehen eines entsprechenden Patientenwunsches, die Regelversorgung von 6 Wochen ohne größeren/zusätzlichen Genehmigungsaufwand möglich sein (mit entsprechender zusätzlicher Verlängerungsmöglichkeit).

Berlin/ Düsseldorf, 30.08.2024

Gesundheitspolitik
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