Für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem o.g. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz möchte die BAG SELBSTHILFE herzlich danken. Als Dachverband von 121 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 13 Landesarbeitsgemeinschaften nehmen wir zu dem Entwurf wie folgt Stellung:
1.Zielsetzung des Entwurfes:
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt, dass mit vorliegendem Entwurf im Anwendungsbereich des Deutsch-Schweizerischen Polizeivertrages der elektronische Rechtsverkehr sowie die elektronische Aktenführung beim Bundesamt für Justiz (BfJ) - als zentrale Bewilligungs- und Vollstreckungsbehörde für ein- und ausgehende Vollstreckungshilfeersuchen - eingeführt wird, um nicht nur eine Entlastung aller an dem Verfahren beteiligten Behörden, Staatsanwaltschaften sowie Gerichte zu erreichen, sondern auch eine Verfahrensbeschleunigung.
Mit vorliegendem Entwurf soll die bereits in Angriff genommene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter gefördert werden, DE-Mail als sicherer Übermittlungsweg soll, abgeschafft werden.
Auch ist begrüßenswert, dass Bürger*innen die Möglichkeit haben, mit dem Bundesamt für Justiz (BfJ) nicht nur in bisheriger Papierform zu kommunizieren, sondern ebenfalls am elektronischen Rechtsverkehr teilzunehmen. Als Argument führt das BfJ an, dass sich die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs für Bürger*innen kostensparend auswirke und damit einen entlastenden Effekt habe.
2. Ergänzungsbedarfe:
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sind jedoch Ergänzungen im Hinblick auf den vorliegenden Referentenentwurf erforderlich:
Damit Bürger*innen, insbesondere auch ältere Menschen sowie Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, den elektronischen Rechtsverkehr mit dem BfJ tatsächlich nutzen können, ist unabdingbare Voraussetzung, dass neben bereits vorhandener Hard- und Software die angebotenen Lesegeräte einschließlich entsprechender Signaturkarten in barrierefreier Form zur Verfügung stehen sowie die elektronische Kommunikation mit dem BfJ selbst barrierefrei erfolgt.
Ferner ist das seitens des BfJ über seine Internetseite elektronisch zur Verfügung gestellte Formular für ausgehende Vollstreckungshilfeersuchen barrierefrei für die Nutzer*innen zugänglich zu machen. Im Rahmen der elektronischen Aktenführung reicht es nach unserem Dafürhalten nicht aus, geeignete technische und organisatorische Maßnahmen nach dem Stand der Technik sicherzustellen, sondern die Führung elektronischer Akten muss auch für die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BfJ barrierefrei möglich sein.
Eine barrierefreie und damit niedrigschwellige Zugänglichkeit zu einer elektronischen Kommunikation mit dem BfJ ist Grundvoraussetzung für eine gelingende Teilnahme aller Bürger*innen im Anwendungsbereich des Deutsch-Schweizerischen Polizeivertrages. Um dies zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass auch in vorliegendem Referentenentwurf auf entsprechende Barrierefreiheitsanforderungen, welche bereits in Gesetzen, Richtlinien sowie Rechtsverordnungen verankert sind, ausdrücklich verwiesen wird.
Die BAG SELBSTHILFE kann insoweit nicht damit konform gehen, wenn in der Begründung des Verordnungsentwurfes lediglich angeführt wird, „dass bereichsspezifische Regelungen zur Sicherstellung von Barrierefreiheit nicht im Rahmen dieser Verordnung zu treffen sind. Insoweit gelten die einschlägigen allgemeinen Vorschriften, insbesondere die des Behindertengleichstellungsgesetzes und darauf gründende Verordnungen.“
In diesem Zusammenhang ist zu verweisen auf Art. 13 Abs. 1 der UN-BRK (Zugang zur Justiz), wonach „die Vertragsstaaten Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksamen Zugang zur Justiz, unter anderem durch verfahrensbezogene und altersgemäße Vorkehrungen, gewährleisten, um ihre wirksame, unmittelbare und mittelbare Teilnahme, einschließlich als Zeugen und Zeuginnen, an allen Gerichtsverfahren und auch in der Ermittlungsphase und den anderen Vorverfahrensphasen, zu erleichtern.“
Unter Bezugnahme auf die Abschließenden Bemerkungen zum 2./3. Staatenbericht Deutschlands anlässlich der Staatenprüfung am 29. und 30. August 2023 hat sich der UN-Fachausschuss besorgt gezeigt über die Barrieren, die Menschen mit Behinderung den Zugang zur Justiz verwehren, darunter u.a. auch das Fehlen barrierefrei zugänglicher Anlagen, Informationen und Kommunikationen im Justizsystem. Der Ausschuss hat Deutschland insoweit empfohlen, „in enger Konsultation mit den Organisationen von Menschen mit Behinderungen und unter deren aktiver Mitwirkung eine nationale Strategie für eine behinderungsgerechte Justiz zu entwickeln“, insbesondere auch „um die barrierefreie Zugänglichkeit der gerichtlichen Einrichtungen der Informationen und der Kommunikation sicherzustellen“.
Mit Verweis auf § 4 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) sind „barrierefrei bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“. Auch im Sinne von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“) ist dieses Grundprinzip der Barrierefreiheit im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs mit dem BfJ ausdrücklich in dem Verordnungsentwurf zu verankern, um das in der UN-BRK verbriefte Menschenrecht einer inklusiven Gesellschaft umzusetzen.
Zudem wird in der BITV 2.0 gefordert, dass Angebote, Anwendungen und Dienste der Informationstechnik für Menschen mit Behinderung wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein müssen. Diese vier Kriterien der Barrierefreiheit finden sich auch in der europäischen Norm EN 301 549 sowie in der WCAG 2.1 (Web Content Accessibility Guidelines) wieder. Darüber hinaus sind auch ausdrücklich für die Herstellung barrierefreier Webinhalte zu berücksichtigen die Vorgaben der EU-Richtlinie 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Diese EU-Richtlinie verpflichtet öffentliche Stellen von der Bundes-, über die Landes- bis hin zur kommunalen Ebene zu barrierefreien Webangeboten.
Insoweit ist es nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE wichtig, neben der BITV 2.0 die WCAG 2.1, die EN 301 549 einschließlich der EU-Richtlinie 2016/2102 explizit im Verordnungsentwurf aufzuführen, um vorgenannte Grundprinzipien sowohl bei Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs als auch bei Zulassung der elektronischen Aktenführung im Bereich des Vollstreckungshilfeverfahrens auf Grundlage des Deutsch - Schweizerischen Polizeivertrages verbindlich zu beachten.
Insoweit wird folgende ergänzende Formulierung im Verordnungsentwurf vorgeschlagen:
Zu § 6 neu (Barrierefreiheit):
Der im Sinne der §§ 1-5 dieser Verordnung eingeführte elektronische Rechtsverkehr einschließlich der Zulassung einer elektronischen Aktenführung sind nach Maßgabe der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0), der WCAG 2.1, der EN 301 549 sowie der EU-Richtlinie 2016/2021 im Sinne des § 4 BGG barrierefrei zu gestalten.
§ 6 (Datenschutz und Datensicherheit) wird zu § 7 und § 7 (Inkrafttreten) wird zu § 8 der Verordnung.
Da das Bundesamt für Justiz (BfJ) die für die Übermittlung und Bearbeitung notwendige Form, insbesondere die technischen Formate und Parameter von elektrischen Dokumenten sowie die technisch möglichen Übermittlungswege, auf seiner Internetseite www.bundesjustizamt.de bekannt gibt, sollte das BfJ auf seiner Internetseite auch eine ausdrückliche Erklärung zur Barrierefreiheit im Sinne des § 12 b BGG sowie der EU-Richtlinie 2016/2102 veröffentlichen.
3.Fazit:
Laut Gesetzesbegründung steht vorliegender Entwurf im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie, welche der Umsetzung der UN – Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung dienen.
Um jedoch tatsächlich einen unmittelbaren Beitrag zur Verwirklichung des Nachhaltigkeitsziels 16, welches mit seinen Zielvorgaben 16.3 und 16.6 verlangt, allen Menschen Zugang zur Justiz zu ermöglichen und leistungsfähige Institutionen aufzubauen, zu leisten, ist nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE unabdingbare Voraussetzung, den im Anwendungsbereich des Deutsch-Schweizerischen Polizeivertrages eingeführten elektronischen Rechtsverkehr einschließlich einer elektronischen Aktenführung als niedrigschwellige Kommunikationswege gemäß vorgenannter Barrierefreiheitsanforderungen auch zu gewährleisten.
Schlussendlich möchten wir auf unsere Stellungnahme vom 09.07.2024 zum Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit verweisen, welche wir als Anlage beifügen.
Berlin/Düsseldorf, den 07.11.2024
Anlage: Stellungnahme der BAG S vom 09.07.2024 zum Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit