Stellungnahme zu einem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 (COVID-19-SchG) - Anhörung im Ausschuss für Gesundheit am 29. August 2022

Als Dachverband von 123 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und deren Angehörigen sowie von 12 Landesarbeitsgemeinschaften begrüßt es die BAG SELBSTHILFE, dass die Überwachung der Pandemie mit verschiedenen Maßnahmen verbessert werden soll.

Gleichzeitig fehlen dem Entwurf aus ihrer Sicht noch weitere notwendige Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung der Pandemie, wie etwa allgemeine bundesweite Maskenpflichten, die aber wohl laut Presse im Kabinett – leider nur in begrenzten Umfang - auf den Weg gebracht wurden.

I. Gesetzentwurf und in der Presse angekündigte Maßnahmen

Die BAG SELBSTHILFE hält die im Gesetzentwurf vorgesehene bessere Surveillance bzgl. der Entwicklung der Pandemie über Sentinel Erhebungen durch Befragungen, Testungen und Abwasserproben ebenso für sinnvoll wie eine bessere Erfassung der Krankenhauskapazitäten im Bereich der Normalstationen.

Dem Entwurf fehlen aber aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE noch allgemeine Regelungen zum Schutz von vulnerablen Personengruppen, die aber ja offenbar noch ins Gesetzgebungsverfahren aufgenommen werden sollen. Das Problem an den auf der Seite des Bundeskabinetts dargestellten Maßnahmen ist jedoch leider, dass man hier – abgesehen von der FFP2 Maskenpflicht in Fernzügen und Flugzeugen – i.W. Menschen in Einrichtungen und Pflegeheimen als vulnerable Personengruppen definiert bzw. entsprechende Maßnahmen nur für diese Personengruppe vorsieht und weitere Regelungen den Ländern überlässt. Diese Einschätzung der Gruppe der vulnerablen Personen entspricht aber nicht der Realität: Viele Menschen mit eingeschränktem Immunschutz, etwa aufgrund einer immunsupprimierenden Therapie oder Krebserkrankung, leben zu Hause, oft auch mit Familie; sie können sich  nicht selbst durch eine Impfung gegen einen schweren Verlauf in gleichem Maße wie immungesunde Menschen schützen, da bei ihnen die Impfung oft nicht in gleichem Maße wirkt wie bei immungesunden Personen; zugleich haben sie oft ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf. Diese Personen haben aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ebenso Anspruch auf Schutz wie Menschen in Pflegeheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen immer wieder die Notwendigkeit des Schutzes vulnerabler Gruppen betont und hier nicht nach den entsprechenden Settings unterschieden. Gerade wenn die Inzidenz und die Dunkelziffer sehr hoch ist, sind Menschen außerhalb von Einrichtungen und Pflegeheimen ohne Schutzmaßnahmen ebenso gefährdet, sich zu infizieren wie diejenigen innerhalb dieser Orte.

Zum Schutz dieser vulnerabler Personengruppen hält es die BAG SELBSTHILFE daher für dringend notwendig, dass gesetzlich bundesweit allgemeine FFP2-Maskenpflichten in (öffentlich zugänglichen) Innenräumen und Schulklassen aller Altersgruppen verankert werden, damit die Teilhabe von diesen Menschen am öffentlichen Leben gesichert ist. In Bezug auf die Schulen wird darauf hingewiesen, dass auch Risikokinder der Schulpflicht unterliegen und auch ihnen der sichere Schulbesuch in allen Altersgruppen ermöglicht werden muss; nichtsdestotrotz sollte den Risikokindern auf Wunsch natürlich auch der digitale Unterricht gewährt werden. Ferner sollten Filteranlagen insbesondere in Schulen gefördert und Home-Office Regelungen verpflichtend ausgestaltet werden.

Das Erfordernis einer FFP2-Maskenpflicht ergibt sich aus folgendem: Masken haben nur einen begrenzten Schutzeffekt für die Betroffenen, wenn alle anderen um sie herum auf die Maske verzichten; in Anbetracht dessen, dass gerade Menschen unter Immunsuppression oder mit einer Krebstherapie neben dem erhöhten Ansteckungsrisiko auch noch zusätzlich ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf trotz Impfung haben, sind sie auf die Solidarität der anderen angewiesen, um sich zu schützen. Vor diesem Hintergrund hält die BAG SELBSTHILFE eine allgemeine Maskenpflicht in Innenräumen – außerhalb der eigenen Wohnung - für notwendig. Eine solche Maskenpflicht stellt nur einen geringen Grundrechtseingriff für diejenigen dar, die die Maske vorübergehend tragen müssen; sie schützt gleichzeitig die Grundrechte der vulnerablen Personengruppen in erheblichem Maße. Gegenüber dieser Personengruppe hat der Staat – wie vom Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt wurde – Schutzpflichten, die er zu erfüllen hat; diese Schutzpflichten gelten aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE auch nicht bundeslandspezifisch. Eine bundesweite Regelung ist ferner auch deswegen erforderlich, weil dadurch Wertungswidersprüche vermieden werden, so etwa bzgl. der Frage, wieso im Fernverkehr eine FFP2-Maskenpflicht notwendig ist, während die Geltung im ÖPNV den Ländern (aufgrund welcher Kriterien?) überlassen wird. Dieses schafft rechtliche Risiken. Unklar ist aus der Sicht der BAG SELBSHTILFE ferner, warum die vorgesehenen Maßnahmen zum 1. Oktober eingeführt werden sollen und nicht zum Auslaufen der bisherigen Regelungen am 23. September.

Die BAG SELBSELBSTHILFE begrüßt im Gesetzentwurf einerseits die Verlängerung der TestV, hält andererseits jedoch noch Nachbesserungen an dieser TestV für dringend erforderlich. Denn durch die Begrenzung der kostenlosen Testung auf bestimmte– Fälle sind die Nachweispflichten für Patient*innen oft so kompliziert, dass Patient*innen sich oft vor einem Besuch von Angehörigen im Krankenhaus eine Bescheinigung des Krankenhauses holen müssen, um dann einen kostenlosen Test zu erhalten. Nicht jeder Angehörige weiß dies. Zudem differieren die Vorgaben oft von Testzentrum zu Testzentrum. Derart komplexe und überraschende Abläufe halten jedoch Menschen von Testungen ab, bei denen es hochgradig sinnvoll wäre, etwa weil sie mit vulnerablen Personen zu tun haben.

Vor dem Hintergrund, dass es bereits jetzt im Juli eine Todeszahl von fast 3000 Menschen (Tendenz ggü. Juni steigend) gab, ist es aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE zum Schutz vulnerabler Gruppen und zur Überwachung der Pandemie wichtig, die allgemeinen kostenlosen anlasslosen Bürgertests wieder einzuführen. Denn entgegen der öffentlichen Meinung kann von einem Ende der Pandemie angesichts solcher Todeszahlen nicht gesprochen werden. Zum Schutz vulnerabler Personengruppen kann es daher im Herbst notwendig und sinnvoll sein, vorherige Tests für den Besuch von Veranstaltungen oder Lokalitäten vorzusehen, in denen ein Maskentragen nicht umgesetzt werden kann, etwa in Gaststätten. Der im Bundeskabinett verabschiedete Entwurf sieht ja derartige Regelungsmöglichkeiten für die Länder vor. In diesem Fall sollten diese zur Gewährleistung der Teilhabe aller wieder kostenfrei erhältlich sein. Denn für viele Menschen würde ein Test mit Kosten von 10-15 € vor einem Essen in der Gaststätte für jeden – zusätzlich zu den gestiegenen Essenspreisen - dieses faktisch unmöglich machen.

Ferner hält die BAG SELBSTHILFE es für dringend notwendig, dass die Geltungsdauer der Monoklonalen Antikörper-Verordnung verlängert wird. Denn viele Betroffene können kein Paxlovid erhalten, da sich dieses in bestimmten Fällen mit der Standardmedikation des Patienten nicht verträgt. Vor diesem Hintergrund sind monoklonale Antikörper für sowohl für die Prophylaxe als auch die Therapie der Covid- 19 Erkrankung nach wie vor wichtig.  Die BAG SELBTHILFE hatte sich bereits in ihrer Stellungnahme zur 2. SARS-CoV-ÄndV dafür eingesetzt, hier eine längere Frist für den Einsatz der Antikörper vorzusehen bzw. die Befristung zu streichen. Denn die monoklonalen Antikörper haben eine begrenzte Wirkdauer und schützen daher nur eine gewisse Zeit vor schweren COVID-19-Erkrankungen, wenn sie als Präexpositionsprophylaxe eingesetzt werden. So geht man beispielsweise im Fall von Evusheld davon aus, dass die Schutzwirkung nur etwa sechs Monate anhält. Dies bedeutet jedoch, dass die Antikörperkombination nach diesem Zeitraum erneut verabreicht werden muss. Menschen mit Immunschwäche oder unter immunsupprimierender Therapie, wie etwa Organtransplantierte, hätten nach derzeitiger Rechtslage nach Ablauf der genannten Frist ab 26. November keinen Versorgungsanspruch mehr sowohl als Prophylaxe als auch als Therapie. Dies ist im Herbst/ Winter, wo eine weitere Welle zu erwarten ist, für vulnerable Personengruppen, die sich nicht immer durch die Impfung vor schweren Verläufen schützen können, besonders gefährlich. Auch wenn viele Antikörpertherapien leider gegen BA.5 nicht mehr so gut wirken wie gegen vorherige Varianten, ist ihr Einsatz bei vulnerablen Personengruppen, bei denen Paxlovid kontraindiziert ist, nach wie vor wichtig, wie auch das aktuelle Informationsblatt der MHH für Lungentransplantierte zeigt[1]. Vor diesem Hintergrund hält die BAG SELBSTHILFE die Verlängerung der Verordnung für dringend erforderlich.

II. Antrag der Fraktion der CDU/ CSU

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt das Anliegen der Fraktion, Maßnahmen zur Therapie und Behandlung von Long-COVID flächendeckend, einfach und zielsicher verfügbar zu machen und die Forschung voranzutreiben. Auch aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sind Betroffene oft einem Hürdenlauf durch das Gesundheitssystem ausgesetzt; Reha-Angebote sind derzeit viel zu wenig verfügbar, die S 1 Leitlinie ist noch sehr neu und dürfte noch wenig Verbreitung in der Versorgung haben. Insoweit teilt sie die Forderung, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Behandlung, der Verfügbarkeit der Behandlung erforderlich sind, und die Forschung in diesem Bereich zu fördern ist. Ferner sollte auch stärker über die Long-Covid Erkrankung in der Bevölkerung aufgeklärt werden, da hier häufig noch ein geringes Wissen dazu vorhanden ist. Viele Menschen riskieren mehrfache Ansteckungen in dem Glauben, dass Covid inzwischen mit einer

Erkältungserkrankung vergleichbar sei; hier wäre weitere Aufklärung über das Long-Covid-Syndrom dringend erforderlich.

Wie oben bereits angedeutet, teilt sie allerdings nicht die Einschätzung der Fraktion, dass „speziell“ Menschen in Einrichtungen des Gesundheitswesens und der stationären und ambulanten Pflege zu schützen sind; da viele Menschen mit chronischer Erkrankungen und Behinderungen nicht in Einrichtungen leben, sich aber – aufgrund ihrer Erkrankung oder Therapie (z.B. Immunsuppressiva) - nicht wirksam durch eine Impfung schützen können, sind sie auf die Solidarität der anderen angewiesen, die sich am ehesten durch das Tragen von FFP2-Masken in Innenräumen, Filteranlagen und Homeoffice-Regelungen umsetzen lässt. Zudem wurde mehrfach nachgewiesen, dass ein alleiniger Schutz der „Risikogruppen“ in Einrichtungen und Pflegeheimen nicht gelingt, da es bei einer hohen Inzidenz auch dort zwangsläufig zu einer Eintragung kommt.

III. Antrag der Fraktion DIE LINKE

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt nachdrücklich die Vorschläge der Fraktion DIE LINKE zum Aufbau einer zuverlässigen Testinfrastruktur, dem Schutz von vulnerablen Personen und der Verbesserung der Informationslage für Betroffene.

Derzeit gibt es unserem Eindruck nach erheblich Unterschiede in der Anwendung der TestV. Für Betroffene ist oft schwer zu durchschauen, ob sie einen Anspruch auf einen Test haben und/oder ggf. welche Zuzahlung sie zu leisten haben. Die Anforderung von Nachweisen wird ebenfalls unterschiedlich gehandhabt; hinzukommt, dass viele Menschen aufgrund der Berichterstattung in der Presse den Eindruck hatten, dass allenfalls eine Zuzahlung von 3 € notwendig ist; dies ist aber so nicht der Fall. Insgesamt schrecken derzeit überraschende, unklare und uneinheitlich gehandhabte Regelungen eher Menschen ab, sich testen zu lassen; vulnerable Personengruppen sind aber genau darauf angewiesen, dass sich Menschen vorher testen lassen, bevor sie in engeren Kontakt mit ihnen kommen. Vor diesem Hintergrund begrüßt die BAG SELBSTHILFE die Forderung der Fraktion DIE LINKE, kurzfristig die durchgehend kostenfreien Bürgertests wieder einzuführen; auch die langfristige und unkomplizierte Bereitstellung von PCR-Testungen hält die BAG SELBSTHILFE für sinnvoll. Derzeit ist es durchaus teilweise ein Hürdenlauf, überhaupt einen PCR-Test zu bekommen; dies ist umso bedauerlicher, als die Einnahme von Paxlovid und die Antikörpertherapien darauf fußen, dass sie in den ersten 5-7 Tagen nach Symptombeginn eingeleitet werden.

Auch die Vorschläge der Fraktion DIE LINKE zum Schutz vulnerabler Personengruppen sieht die BAG SELBSTHILFE positiv. Neben den Vorschlägen für Einrichtungen und Pflegeheimen sind dabei insbesondere die vorgesehenen Entlastungen für pflegende Angehörige zu begrüßen. Denn seit jeher sehen sich pflegende Angehörige und Pflegebedürftige einem Dschungel an Ansprüchen ausgesetzt, der schwer zu durchschauen ist. Hier können insbesondere frei verfügbare Budgets ohne Anrechnung auf andere Leistungsarten eine enorme Hilfestellung sein, da sie passgenauere Leistungen für die Familien ermöglichen. Dies ist umso dringender als manche Leistungsarten mangels Angebote in der Versorgung oft nicht realistisch von den Familien abgerufen werden können.

Auch die Vorschläge der Fraktion DIE LINKE zur Verbesserung der Informationslage für Betroffene sind zu begrüßen. Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE sollten jedoch auch stärker zielgruppenspezifische Informationen von den spezialisierten Krankenhäusern und Zentren entwickelt werden. Gerade vulnerable Personengruppen, die das Risiko eines schweren Verlaufes auch nach einer Impfung haben, benötigen spezifisch auf die Krankheit zugeschnittene Informationsmaterialien, da bei vielen Erkrankungen bzw. bei einer bestimmten medikamentösen Einstellung  z.B. Paxlovid kontraindiziert ist.

So sollten beispielsweise Patient*innen, die eine Transplantation erhalten haben, aus der Sicht unseres Mitgliedsverbandes, des Bundesverbandes der Organtransplantierten e.V., von ihrem Zentrum Informationshilfen zur Impfung, zum Vorgehen bei Infektion, zur Medikation  und dem Alltagsverhalten bekommen; idealerweise sollten auch entsprechende digitale Informationsveranstaltungen oder -videos angeboten werden. Die MHH[2] und wohl auch das UKE stellen den Betroffenen solche kurzen Informationsmaterialien zur Verfügung; andere Kliniken und Transplantationszentren haben dies – trotzdem es sich teilweise um große Institutionen handelt –

leider noch nicht getan. Vor diesem Hintergrund hält es die BAG SELBSTHILFE für sinnvoll, wenn die BzGA oder ein neu geschaffenes Public Health Institut nicht nur auf solche Informationen verweist, sondern auch für eine Vernetzung der entsprechenden Kliniken und Zentren sorgt, damit die Informationen dann auch bei allen Patient*innen in allen Zentren ankommen.

Auch Informationsmaterialien zum Long-Covid- Syndrom sollten dringend von der BzGA erarbeitet werde, da hier nach wie vor ein erhebliches Informationsdefizit sowohl bei Betroffenen als auch bei Leistungserbringern besteht.

[1] Newletter für Lungentransplantierte der MHH: https://www.mhh.de/fileadmin/mhh/pneumologie/downloads/pdf/mhh_ltx_newsletter.pdf  Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen


[2] Hier die bereits erwähnte sehr gute und kurze Hilfestellung für Lungentransplantierte der MHH: https://www.mhh.de/fileadmin/mhh/pneumologie/downloads/pdf/mhh_ltx_newsletter.pdf  Dieses Dokument in neuem Tab öffnen und vorlesen

 


 

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