Gerade für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen ist medizinische Forschung zur Verbesserung ihrer Behandlungsmöglichkeiten nach wie vor elementar. Dies gilt insbesondere für Indikationsbereiche, in denen es keine oder nur ungenügende Standardversorgung gibt. Eine Studiendurchführung in Deutschland hat für die Betroffenen dabei zum einen den Vorteil, dass die Übertragung der Studienergebnisse auf den deutschen Versorgungskontext später bei der Bewertung leichter möglich ist; zum anderen eröffnet dies den Patient*innen auch die Möglichkeit, selbst an Studien teilzunehmen: Gerade dann, wenn die bisherigen (Standard-) Therapien ausgeschöpft sind, können derartige Studienteilnahmen eine Chance für Patient*innen sein.
Auch die Verringerung bürokratischer Hürden sowie die Harmonisierung bearbeitender Behörden (z.B. bei Strahlenschutzgenehmigungen) begrüßt die BAG SELBSTHILFE ausdrücklich; sie fordert jedoch darüber hinaus substantielle bürokratische Entlastung von medizinischem Personal in klinischen Studien. Besonderes Augenmerk sollte in diesem Zusammenhang auch auf den Bürokratieabbau bei den Investigator Initiated Trails (universitäre Forschung) gelegt werden, da diese üblicherweise über geringere personelle und finanzielle Ressourcen verfügen.
Zu den Regelungen im Einzelnen:
1. Einführung der elektronischen Signatur (§ 40b AMG RefE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt es im Grundsatz, dass weitere Möglichkeiten zur Erfüllung des Formerfordernisses der Einwilligung eröffnet werden. Angesichts dessen, dass über diese Einwilligung in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit eingegriffen werden kann, geht der Entwurf zu Recht davon aus, dass eine fortgeschrittene elektronische Signatur anstatt der bisherigen strengen Schriftform erforderlich sein muss - und nicht etwa nur eine Einwilligung etwa in Textform per einfacher E-Mail ausreichend ist. Diese fortgeschrittene elektronische Signatur muss jedoch nach der UN-BRK barrierefrei ausgestaltet sein, damit alle Menschen – auch Menschen mit Behinderung - gleichermaßen Zugang zu dieser Möglichkeit haben.
Gleiches gilt auch für das Aufklärungsgespräch; auch bei diesem muss angesichts der Bedeutung für die körperliche Unversehrtheit sichergestellt sein, dass dieses barrierefrei ausgestaltet ist, etwa wenn eine Teleaufklärung erfolgt. Dabei beinhaltet das Erfordernis der Barrierefreiheit nicht nur technische Vorkehrungen, etwa für Sehbehinderte, sondern auch die ggf. die Verwendung leichter Sprache, damit sichergestellt ist, dass der Betroffene die Risiken auch verstanden hat.
2. Bundes-Ethikkommission und Vereinheitlichung der Arbeit der Ethikkommissionen
(§§ 41c, d AMG, 32a MPDVO RefE)
Die BAG SELBSTHILFE teilt die Auffassung der Bundesregierung, dass die Arbeit der Ethikkommissionen stärker vereinheitlicht werden sollte. Voraussetzung dafür sind einheitliche Vorgaben hinsichtlich inhaltlicher Standards und formaler Abläufe für die Studienbegutachtungen, die dem von Ärzt*innen und Forscher*innen oft beschriebenen „heterogenen Wildwuchs“ bei Abstimmungen und Konsultationen durch die unterschiedlichen Ethikkommissionen ein Ende bereitet. Insoweit wird die vorgesehene Richtlinienkompetenz durch den Arbeitskreis Medizinischer Ethikkommissionen explizit durch die BAG SELBSTHILFE begrüßt.
Bei der vorgesehenen Bundes-Ethikkommission stellt sich hingegen die Frage, ob hier nicht durch zusätzliche Strukturen – zumindest anfänglich – eine Verkomplizierung der vorhandenen Verfahren stattfindet und neue Unsicherheiten entstehen. Zudem bestünde das Problem, dass erfahrene Vertreter*innen für die Bundesethikkommissionen nur aus den Landesethikkommissionen kommen können, was dann wiederum zu einer Schwächung dieser Institutionen führen dürfte. Schließlich fehlen bisher die Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Anzahl der Ethikvoten für klinische Studien stark reduziert wird („one vote“).
Insgesamt dürfte die Teilnahme an den Ethikkommissionen auf Bundes- und Landesebene sowie die entsprechende Abstimmung auch für die Patientenvertreter*innen eine Herausforderung darstellen, die durch eine Unterstützungsstruktur abgesichert werden sollte. Dies könnte eine Stabsstelle sein, die auch die anderen Aufgaben der Patientenvertreter*innen beim BfArM (etwa zum Thema Lieferengpässe) begleitet. Insoweit fordert die BAG SELBSTHILFE schon seit längerem die Einrichtung einer entsprechenden Stabsstelle beim BfArM, die als zusätzliche Aufgabe auch die Unterstützung und Vernetzung der Patientenvertreter*innen in den Ethikkommissionen auf Bundes- und Landesebene übernehmen könnte.
Schließlich sollte die Anzahl der zu beteiligenden Patientenvertreter*innen mit mindestens zwei Personen festgelegt werden: Denn in der Regel handelt es sich um Betroffene, die eine oder mehrere chronische Erkrankungen haben; hier kann es immer wieder zu Ausfällen kommen. Auch wenn natürlich mit Stellvertreter*innen gearbeitet werden kann, so ist die Kontinuität der Beratungen bei einer abwechselnden Teilnahme nur schwer sicherzustellen.
Vertraulichkeit der Erstattungspreise (§ 35 Abs. 1c, 4a SGB V)
Die BAG SELBSTHILFE sieht die vorgesehen Wahlmöglichkeit des pharmazeutischen Herstellers hinsichtlich der Vertraulichkeit des Erstattungspreises kritisch. Generell gibt es im Gesundheitssystem kein Zuviel an Transparenz, sondern eher ein Zuwenig. Hinzu kommt, dass sich die Regelung der Vertraulichkeit bei Patient*innen, die sich in der PKV entscheiden, Selbstzahler ohne Erstattung zu sein (etwa wegen Selbstbehalt oder Rückerstattungen), negativ auswirkt, da sie keinen Anspruch auf Erstattung haben. Insgesamt ist ohnehin fraglich, woher Patient*innen erfahren, dass sie ggf. in der PKV und der GKV Anspruch auf entsprechende Erstattung haben; dieses Wissen benötigen sie jedoch für dessen Beantragung. Denn im GKV-Bereich kann die Vertraulichkeit Auswirkungen auf die Höhe der Zu- und Aufzahlungen haben, etwa wenn der Betroffene bereit ist, die Mehrkosten als Aufzahlungen für „sein“ Medikament selbst zu tragen. Schließlich bleibt die Frage, wie sich die Vertraulichkeit auf die Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Ärzte auswirkt, da diese im Grunde kaum noch möglich sind. Auch wenn die BAG SELBSTHILFE die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen wegen häufig negativen Auswirkungen auf die Patientenversorgung durchaus kritisch sieht, dürfte ihr genereller Wegfall eventuell beitragsrelevanten Kostensteigerungen im Gesundheitswesen zur Folge haben, die dann wiederum die Patient*innen als Beitragszahler treffen.
Infolgedessen hält die BAG SELBSTHILFE an ihrer schon in der letzten Legislaturperiode vertretenen Auffassung fest, dass die Erstattungspreise weiterhin transparent bleiben sollten.
4. Dezentralisierung durch Direktabgabe der Prüfpräparate (§ 47 AMG RefE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Dezentralisierung der Studiendurchführung ebenso wie die Maßgabe, dass die Direktabgabe nur erfolgen darf, wenn sichergestellt ist, dass der Sponsor keinen Zugriff auf die Daten der Proband*innen hat. Eine solche Regelung ist aus ihrer Sicht aus Gründen des Schutzes der sensiblen Gesundheitsdaten unabdinglich.
Düsseldorf/ Berlin, 22. Februar 2024