Weil Medizinproduktehersteller sich in Europa aussuchen dürfen, welche Prüfstelle sie dafür bezahlen, ihnen das gewünschte Zulassungs-Zertifikat (CE-Zertifikat) auszustellen, haben fehlerhafte oder in der Praxis untaugliche Produkte wie Prothesen, Herzschrittmacher oder Brustimplantate dazu geführt, dass in den letzten Jahren hunderttausende Menschen gelitten haben und zehntausende gestorben sind. Diese erschütternden Fakten bringt die aktuelle internationale Recherche von 250 weltweit arbeitenden Journalisten zu den Machenschaften von Industrie und Politik rund um Medizinprodukte ("The Implant Files") zu Tage.
BAG SELBSTHILFE fordert deshalb die Politik auf, die von ihr seit Jahren geforderten Maßnahmen, wie die Einrichtung einer einheitlichen, unabhängigen Prüfstelle für Qualitätsstandards bei Medizinprodukten, die Ausweitung des Patientenrechtegesetzes sowie die Einrichtung eines Medizinschadenfonds endlich umzusetzen.
„Die Behörden haben es versäumt, die Risiken und die Nutzung von Medizinprodukten ausreichend zu prüfen“, kritisiert Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE. „Da werden den Menschen lebenswichtige Prothesen oder Herzschrittmacher eingesetzt, ohne dass diese zuvor in klinischen Studien getestet worden sind. Dann ist das Überleben mitunter reine Glückssache! Die Schaffung einer zentralen, unabhängigen Prüfstelle, die hohe Qualitätsstandards einführt, wie sie die BAG SELBSTHILFE seit Jahren fordert, würde die Hersteller dazu zwingen, hochfunktionale und qualitätsgesicherte Produkte herzustellen und das Risiko für die PatientInnen minimieren“, macht Dr. Martin Danner deutlich.
Laut eines Vermerks des Bundesgesundheitsministeriums sollen 90 Prozent aller Hoch-Risiko-Produkte auf den Markt kommen ohne klinische Studien durchlaufen zu haben. Dabei ist laut Gesetz der Verzicht auf klinische Daten nur in begründeten Ausnahmen zulässig. Private Prüfstellen, wie der TÜV oder die DEKRA veröffentlichen noch dazu keine Prüfberichte, sodass die Grundlagen der CE-Zertifizierung nicht nachvollziehbar sind. Darüber hinaus wird es zumeist den Herstellern überlassen, Maßnahmen bei fehlerhaften Produkten zu ergreifen, wie etwa Sicherheitsinformationen zu verschicken oder einen Rückruf einzuleiten.
„Warum bei Medizinprodukten eine derart lasche Vorgehensweise geduldet wird, ist nicht nachvollziehbar. Wir brauchen dringend rechtliche Grundlagen, die es Wirtschaftsunternehmen unmöglich machen, PatientInnen zu Versuchskaninchen zu machen. Deswegen fordern wir die Bunderegierung auf, die Patientenrechte bezüglich der Umkehr der Beweislast in Gerichtsprozess auszuweiten und einen Entschädigungsfonds für die Fälle einzurichten, in denen bei einem Gerichtsprozess entscheidende Fragen, etwa die Verursacherfrage eines Arztfehlers, nicht geklärt werden können."