Themenfeld I.: Barrierefreie und inklusive Gesundheitsversorgung
Nr.I.2: Um Barrieren bei der Terminvergabe abzubauen, wird sich das BMG für eine gesetzliche Regelung einsetzen, dass Vertragsarztpraxen und -zahnarztpraxen künftig sicherzustellen haben, dass neben einer telefonischen Terminvereinbarung auch andere Buchungsmöglichkeiten (Digital, SMS oder E-Mail) bestehen. Hierzu kann beispielsweise auch auf die Webseite der Terminservicestelle (TSS) der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), welche barrierefrei zu erreichen ist, verwiesen werden.
Grundsätzlich ist es nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE zu begrüßen, dass Terminvergaben auf unterschiedlichen Wegen möglich sein sollen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang zwingend darauf zu achten, dass diese barrierefrei ausgestaltet sind. Bereits jetzt stellt sich in der Praxis das Problem, dass viele Arztpraxen nur noch schwer bis gar nicht telefonisch erreichbar sind. Von daher muss sichergestellt werden, dass es verlässliche Möglichkeiten zur telefonischen Kontaktaufnahme mit Arztpraxen gibt. Diese Maßnahme ist kurzfristig umzusetzen.
Nr.I.3: Das BMG wird sich für eine gesetzliche Regelung einsetzen, dass auch KZVen verpflichtet sind, im Internet in geeigneter Weise bundesweit einheitlich über die Sprechstundenzeiten der Vertragszahnärzte und über die Zugangsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zur Versorgung (Barrierefreiheit) zu informieren. Grundlage ist die für den vertragszahnärztlichen Bereich gegebenenfalls anzupassende Richtlinie der KBV nach § 75 Abs. 7 Nr. 3a SGB V. Die KZBV hat ebenfalls eine barrierefreie und digitale Zahnarztsuche auf Ihrer Webseite anzubieten (vergleichbar mit dem System der KBV).
Diese Maßnahme, umzusetzen durch eine gesetzliche Regelung, muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig erfolgen.
Nr. I.4: Das BMG wird sich für eine gesetzliche Regelung einsetzen, dass die Vertragspartner (KBV, KZBV, Bundesfachstelle Barrierefreiheit und Interessenvertretung der Patientinnen und Patienten nach § 140f SGB V) zu einem regelmäßigen Austausch und zur Anpassung der Richtlinie nach § 75 Abs. 7 Nr. 3a SGB V verpflichtet werden.
In diesem Kontext nimmt die BAG SELBSTHILFE Bezug auf die überarbeitete und mithin aktuell am 15.07.2024 in Kraft getretene Richtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nach § 75 Abs. 7 SGB V zur Information über die Sprechstundenzeiten der Vertragsärzte und über die Zugangsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zur Versorgung, wonach im Richtlinientext unter § 2 Abs. 3 steht: „Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sind nicht verpflichtet, die Angaben nach Anlage 1 vollständig zu erfassen und an die KV zu übermitteln.“
Nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE ist dieser Satz bereits missverständlich dahingehend formuliert, als dass er den Eindruck erweckt, dass die Arztpraxen sich auch nur wenige Items herausgreifen können, zu denen sie Auskunft geben. Das würde vor dem Hintergrund der mit der KBV und den maßgeblichen Patientenorganisationen nach § 140f SGB V gemeinsam erarbeiteten sowie verhandelten Kriterien für verschiedene Beeinträchtigungsarten in der Erläuterung wenig Sinn ergeben und erneut zu nicht aussagekräftigen Ergebnissen bei der Arztsuche führen. Ziel der Überarbeitung der KBV-Richtlinie war, den Patientinnen und Patienten möglichst umfangreiche Informationen zu geben, auf deren Basis sie entscheiden können, ob die Praxis für sie selbst barrierefrei genug ist oder nicht. Insofern gehen wir davon aus, dass die Praxen alle Kriterien mit Ja/vorhanden oder Nein/nicht vorhanden beantworten müssen.
Dieser vorstehende Satz in § 2 Abs. 3 des Richtlinientextes wäre so nicht formuliert worden, wenn die maßgeblichen Patientenorganisationen von Anfang an auch an der Formulierung des Richtlinientextes selbst beteiligt worden wären, was jedoch tatsächlich nicht der Fall gewesen ist. Insoweit sollte das BMG nicht nur eine Prüfung dahingehend vornehmen, ob ggf. gegen geltendes Recht verstoßen wurde, sondern auch im Wege der Rechtsaufsicht eine Klarstellung gegenüber der KBV vornehmen.
Nr.I.10: Im Sicherstellungsauftrag der vertragsärztlichen und -zahnärztlichen Versorgung, welcher den KVen, den KZVen, der KBV und der KZBV obliegt, werden zukünftig die Belange von Menschen mit Behinderungen explizit genannt.
Die Umsetzung dieser Maßnahme durch eine gesetzliche Änderung muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig erfolgen.
Nr.I.11: Im Rahmen von Nachbesetzungsverfahren und/oder Auswahlverfahren wird sich das BMG für eine gesetzliche Regelung einsetzen, dass der Aspekt der Barrierefreiheit von Vertragsarztpraxen zukünftig durch den Zulassungsausschuss verstärkt zu berücksichtigen ist.
Die Realisierung dieser Maßnahme durch entsprechende gesetzliche Änderung muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig erfolgen.
Nr.I.12: Bei Anträgen auf Genehmigung einer Zweitpraxis wird sich das BMG für eine gesetzliche Regelung einsetzen, dass eine Verbesserung der barrierefreien Versorgung am Ort der Zweitpraxis zukünftig generell die Voraussetzung der Verbesserung der Versorgung der Versicherten an dem weiteren Ort (§ 24 Abs. 3 Nr. 1 Ärzte-Zulassungsverordnung) erfüllen soll.
Die Umsetzung dieser Maßnahme durch entsprechende gesetzliche Änderung muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig erfolgen.
Nr.I.13: Das BMG wird sich für eine gesetzliche Regelung einsetzen, dass die Bewertungsausschüsse verpflichtet werden, den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) und den Bewertungsmaßstab zahnärztlicher Leistungen (BEMA) zu überprüfen und anzupassen, um den besonderen Erfordernissen behinderter Menschen Rechnung zu tragen. Die Anpassung des EBM und des BEMA sind punktsummen - und finanzneutral umzusetzen.
Da die Anpassung des EBM und BEMA ausdrücklich finanzneutral erfolgen soll, ist unserer Ansicht nach mithin nicht ersichtlich, wie ein möglicher Mehraufwand - insbesondere auch in Form von mehr Zeit - bei der medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderung abgedeckt werden soll. Es ist unseres Erachtens nicht ersichtlich, wie damit dem Problem der Vermeidung der Behandlung von Menschen mit Behinderung durch Leistungserbringer im SGB V entgegengewirkt werden soll.
Nr.I.14: Die zahnmedizinische Versorgung von Menschen mit Behinderungen und Pflegebedürftigen wird weiterentwickelt. Hierzu werden mobile Versorgungsangebote gefördert.
Die Umsetzung dieser Maßnahme muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE ebenfalls kurzfristig erfolgen.
Nr.I.16: Das BMG wird prüfen, wie sich mögliche Kapazitätsengpässe bei der Versorgung von Menschen mit Behinderungen, die zu ihrer zahnmedizinischen Versorgung auf Vollnarkosen angewiesen sind, beheben lassen.
Auch die Umsetzung dieser Maßnahme muss kurzfristig erfolgen.
Nr.I.19: Das BMG wird die Rahmenvertragspartner auffordern, den Rahmenvertrag zum Entlassmanagement unter Beteiligung der Betroffenen im Hinblick auf die besonderen Versorgungsituationen von Menschen mit Behinderungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Auch die Umsetzung dieser Maßnahme muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig erfolgen.
Nr.I.22: Das BMG wird auf eine gesetzliche Regelung hinwirken, dass der GKV-Spitzenverband die Heilmittelerbringerliste um die Möglichkeit zur Suche nach barrierefreien und rollstuhlgerechten Praxen erweitert. Die Heilmittelerbringer erhalten eine entsprechende Auskunftspflicht gegenüber den Zulassungsstellen.
Auch diese Maßnahme, welche in Ergänzung des § 124 Abs. 2 SGB V umzusetzen ist, muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig erfolgen.
Nr.I.25: Das BMG setzt sich dafür ein, dass sich Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) in besonderer Weise der Barrierefreiheit hinsichtlich Erreichbarkeit, baulicher Maßnahmen und Angebote verpflichtet sehen.
Auch diese Maßnahme muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig umgesetzt werden.
Nr.I.30: Der GKV-Spitzenverband wird unter Einbeziehung der Patientenorganisationen nach § 140f SGB V prüfen, welche weiteren Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit von Hilfsmittelerbringern auf Basis der geltenden Rechts- und Gesetzeslage gegebenenfalls in die Empfehlungen nach § 126 Absatz 1 Satz 3 SGB V zur Präqualifizierung aufgenommen werden könnten.
Nr.I.31: Das BMG wird gegebenenfalls auf eine gesetzliche Regelung hinwirken, die dem GKV-SV den Auftrag gibt, in seinen Empfehlungen nach § 126 Absatz 1 Satz 3 SGB V zur Präqualifizierung von Hilfsmittelerbringern Vorgaben zur Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Die maßgeblichen Patientenorganisationen sind einzubeziehen. Gesetzliche Änderung BMG und Gesetzgeber Langfristig
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE reicht eine Prüfung nicht aus, da zu befürchten steht, dass der GKV-Spitzenverband argumentieren wird, dass es zur Festlegung einer generellen Barrierefreiheit einer gesetzlichen Regelung bedarf, da der Gesetzgeber die wesentlichen Punkte selbst normieren muss. Vor diesem Hintergrund sollte hier – nicht nur „gegebenenfalls“ - festgelegt werden, dass die Leistungserbringung barrierefrei zu erfolgen hat, zumal gerade Menschen mit Einschränkungen auf Hilfsmittelversorgung angewiesen sind und von daher die Barrierefreiheit hier eine besondere Bedeutung hat. Eine Berücksichtigung der Vorgaben der Barrierefreiheit erscheint insoweit nicht ausreichend, um sicherzustellen, dass die Versorgung dann auch wirklich barrierefrei erfolgt. Zudem muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE die Umsetzung dieser Maßnahme ebenfalls kurzfristig erfolgen.
Nr.I.32: Das BMG wird auf eine gesetzliche Regelung hinwirken, dass der GKV-Spitzenverband zukünftig in seinen jährlichen Berichten gemäß § 139 Abs. 9 S. 3 SGB V zur Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses auch Angaben zur Barrierefreiheit von Hilfsmitteln und zu deren Anteil der im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Hilfsmittel machen wird.
Auch die Umsetzung dieser Maßnahme, welche einer gesetzlichen Änderung bedarf, muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig erfolgen.
Nr.I.38: Das BMG wird die Selbstverwaltung auffordern, Regelungen und Vereinbarungen zur Barrierefreiheit z.B. bei Anbietern für Schwangerschaftskurse und Beckenbodengymnastik zu erarbeiten.
Im Rahmen dieser umzusetzenden Maßnahme müssen nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE zudem auch der Rehasport sowie das Funktionstraining mit aufgenommen werden. Auch die Umsetzung dieser Maßnahme hat kurzfristig zu erfolgen.
Nr.I.50: Das BMG wird zur Umsetzung des Auftrags, die Sprachmittlung im SGB V zu verankern, auf Grundlage von bereits durchgeführten Fachgesprächen Regelungen erarbeiten, die zeitnah eingebracht werden sollen.
Nr.I.51 Das BMG prüft im Rahmen des weiteren Verfahrens, ob im Rahmen der Verankerung der Sprachmittlung im SGB V auch Dolmetscherleistungen für Gebärdensprache beziehungsweise Gehörlose berücksichtigt werden sollen.
Die BAG SELBSTHILFE befürchtet, dass die gut funktionierende Regelung der Sprachmittlung für Dolmetscherleistungen für Menschen mit Gehörschädigungen im Zuge der allgemeinen Regelung der Sprachmittlung eingeschränkt wird. Dem widerspricht die BAG SELBSTHILFE mit Nachdruck; es muss dringend sichergestellt werden, dass die derzeitige Regelung der Sprachmittlung für Gehörlose oder Gehörgeschädigte in ihrem Umfang erhalten bleibt. Dazu gehören auch Dolmetscherleistungen durch den Einsatz von Schriftdolmetscher*innen sowie der Verwendung von Assistenztechnologien.
Themenfeld II: Barrierefreiheit in der Langzeitpflege
Nr.II.1: Das BMG wird gegenüber den Ländern darauf hinwirken, dass diese im Rahmen ihrer Förderung der Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen die Schaffung von Barrierefreiheit in den Blick nehmen.
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die vorgesehene Initiative zwar, weist aber darauf hin, dass die Länder ihrer Verpflichtung zur Zahlung der Investitionskosten praktisch gar nicht mehr nachkommen. Vor diesem Hintergrund hält sie es für dringend angezeigt, dass Wege gefunden werden, die Länder zur Zahlung ihrer Investitionskostenverpflichtung anzuhalten. Denn für die Betroffenen und ihre Angehörigen bedeutet es, dass sie im Grunde die Investitionskosten zweimal bezahlen: Einmal direkt an das Pflegeheim, ein zweites Mal über ihre Steuern, die ja für Infrastruktur gedacht ist, zu der die Investitionskosten gehören und zu deren Zahlung die Länder verpflichtet sind.
Nr.II.5: Das BMG erarbeitet Vorschläge, um gemeinschaftliche Wohnformen im SGB XI zu berücksichtigen. Hierbei ist erforderlich, dass Regelungen getroffen werden, die im Vertragsrecht, im Leistungsrecht und im Qualitätssicherungsrecht der Pflegeversicherung eine Vielzahl an Erscheinungsformen abbilden und für alle Beteiligten attraktive und rechtlich sichere Gestaltungsmöglichkeiten bieten.
Zunächst fordert die BAG SELBSTHILFE, dass diese vorgenannte Maßnahme verständlich und somit konkret zu formulieren ist. Es ist nach unserem Dafürhalten bereits nicht ersichtlich, was das BMG hier unter „gemeinschaftliche Wohnformen“ versteht. Menschen mit Behinderung und Pflegegrad in besonderen Wohnformen benötigen einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen nach dem SGB XI, um erzwungene Umzüge in Einrichtungen nach dem SGB XI zu vermeiden. Besondere Wohnformen der Eingliederungshilfe dürfen dabei nicht aufgrund steigender Pflegebedarfe in Pflegeeinrichtungen umgewidmet werden. Sie dürfen somit auch nicht dem Leistungs- und Leistungserbringungsrecht des SGB XI unterworfen werden und sollen nicht dessen Anforderungen erfüllen müssen. Denn auch bei einem hohen Pflegebedarf bleibt der Teilhabeanspruch im Vordergrund.
Nr.II.15: Sofern der WLAN-Zugang für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen noch nicht oder unzureichend vorhanden ist, wird die Selbstverwaltung darauf hinwirken, dass die Förderung nach § 8 Absatz 8 SGB XI auch dafür genutzt wird.
Nr.II.16: Das BMG wird gegenüber den Ländern darauf hinwirken, dass sie im Rahmen der Investitionskostenförderung den Ausbau des Internet-Zugangs für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen in den Blick nehmen.
Die BAG SELBSTHILFE hält die vorgesehenen Maßnahmen zwar für begrüßenswert, allerdings eine klare gesetzliche Verpflichtung der Leistungserbringer für sinnvoller, dass für alle Bewohner ein funktionierendes WLAN in jeder Pflegeeinrichtung vorhanden sein muss. Denn gerade Menschen mit Einschränkungen sind auf digitale Angebote in besonderem Maße angewiesen, um mit ihren Angehörigen und Freunden im Kontakt bleiben zu können. Dies scheitert jedoch oft daran, dass in vielen Einrichtungen der Langzeitpflege weder ein WLAN vorhanden noch ein guter Handyempfang durchgehend gewährleistet sind. Was die Zahlung der Investitionskosten durch die Länder angeht, gilt das oben gesagte.
Themenfeld III.: Inklusion durch Personal
Nr.III.2: Das BMG wird in seinen Austausch mit den Ländern und den Organisationen der Selbstverwaltung zu Berufs- und ausbildungsbezogenen Fragen die Berücksichtigung der besonderen Bedarfe und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen, Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen in den Fort- und Weiterbildungen der Heilberufe mit aufnehmen.
Im Rahmen der Umsetzung dieser Maßnahme sollte das in Praxen sowie Pflegeeinrichtungen arbeitende Personal u.a. auch darin geschult werden, gegenüber Menschen mit Hörbeeinträchtigung sowie gehörlosen Menschen klar und deutlich zu sprechen, um auch mit dieser Patientengruppe eine barrierefreie Kommunikation zu gewährleisten. Zudem ist diese Maßnahme nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE sofort umzusetzen.
Nr.III.10: Das BMG wird darauf hinwirken, dass der Pflegeleitfaden des Deutschen Schwerhörigenbundes e.V. (DSB) als Kommunikationsleitfaden für Pflegekräfte im Gesundheitswesen, in der Pflegeausbildung und in Pflegeeinrichtungen berücksichtigt wird.
Die Umsetzung dieser vorgenannten Maßnahme wird ausdrücklich von der BAG SELBSTHILFE begrüßt, weil Barrierefreiheit auch die Barrierefreiheit der Kommunikation umfasst. Zudem sollten Pflegeeinrichtungen über Induktionsschleifen verfügen, da ältere Menschen häufig hörbeeinträchtigt sind.
Nr.III.14: Das BMG wird seine Ziele zur Förderung der Diskriminierungssensibilität in Aus-, Fort- und Weiterbildung des Personals in der gesundheitlichen Versorgung - auch im Kontext von On-boarding-Prozessen und freier Fachkräftegewinnung bekräftigen. Das BMG wird andere Akteure des Gesundheitssystems zur Erreichung dieser Ziele unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus bisherigen BMG-geförderten Modellprojekten unterstützen.
Diese umzusetzende Maßnahme muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig erfolgen.
Themenfeld IV.: Inklusive Gesundheitsförderung und Prävention
Nr.IV.2: Der GKV-SV wird gemeinsam mit dem GKV-Bündnis für Gesundheit und den Krankenkassen innovative, digitale und barrierefreie Formen der Leistungserbringung im Rahmen der Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten entwickeln. Dies schließt auch Empfehlungen für die Sicherstellung einer barrierefreien Partizipation von Menschen mit Behinderungen an der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit ein.
Die Umsetzung dieser Maßnahme hat nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig zu erfolgen.
Nr. IV.7: Das BMG wird prüfen, ob ein gesetzlicher Fortentwicklungsbedarf besteht, um den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu zielgruppenspezifischen Leistungen zur Gesundheitsförderung und Primärprävention zu erleichtern.
Diese Maßnahme ist nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE sofort umzusetzen.
Nr. IV.10: Das BMG wird die nationale Präventionskonferenz auffordern, in den zukünftig zu erstellenden Präventionsberichten ein Kapitel zur Entwicklung inklusive Gesundheitsförderungsstrategien zu erarbeiten.
Die Umsetzung dieser Maßnahme hat nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig zu erfolgen.
Nr. IV.17: Das BMG wird die Belange von Menschen mit Behinderungen bei Forschungsvorhaben zur Verbesserung der Evidenz in Prävention und Gesundheitsförderung besonders berücksichtigen.
Auch die Umsetzung dieser Maßnahme hat nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig zu erfolgen.
Themenfeld V.: Inklusive Digitalisierung
Nr.V.7: Das BMG wird eine Rechtsverordnung vorlegen zur Verknüpfung von Daten für bessere Forschung und damit für eine diverse, inklusive und barrierefreie Gesundheitsversorgung. Das BfArM wird darauf aufbauend ein Konzept entwickeln.
Nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE sollte die vorgenannte Maßnahme ergänzt werden: „Das BMG schafft gesetzliche Regelungen, dass bei Bedarf zu krankheitsspezifischen Fragestellungen erweiterte Datendokumentationen (inkl. LQ, PRO etc./ggf. zeitbegrenzt) beauflagt werden können.“
Nr.V.9: Das BMG wird, unter dem Vorbehalt verfügbarer Haushaltsmittel, ausgewählte Forschungsvorhaben zur Barrierefreiheit und zu den Bedarfen von Menschen mit Behinderungen im Rahmen der Ressortabstimmung fördern.
Die Umsetzung dieser Maßnahme hat nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig zu erfolgen.
Nr.V.10: Das BMG wird eine Weiterentwicklung und Implementierung von Kriterien zur verstärkten Berücksichtigung von partizipativen Ansätzen verschiedener Gruppen in der Ressortforschung des BMG durchführen.
Auch die Umsetzung dieser Maßnahme hat kurzfristig zu erfolgen.
Nr.V.12: Das BMG wird ergänzende Kriterien für Forschungsprojekte zur Unterstützung partizipativer Ansätze in Ressortforschungsprojekten des BMG entwickeln.
Die Umsetzung dieser Maßnahme hat ebenfalls kurzfristig zu erfolgen.
Themenfeld VI.: Diversität im Gesundheitswesen
Nr.VI.4: Das BMG fördert weiterhin eine strukturierte Weiterentwicklung der gesundheitlichen Selbsthilfe.
Die BAG SELBSTHILFE wird sich auch in Zukunft mit Nachdruck für eine echte Patientenorientierung des Gesundheitswesens einsetzen. Dies beinhaltet, dass die maßgeblichen Patientenorganisationen nach § 140f SGB V sowohl in finanzieller als auch in personeller und organisatorischer Hinsicht eine strukturelle Stärkung erfahren, damit diese auf Augenhöhe mit den Selbstverwaltungspartnern in den Entscheidungsverfahren zur Ausgestaltung des Gesundheitswesens mitwirken können. Aber auch die personelle sowie finanzielle Ausstattung von Koordinierungsstellen auf Landesebene bedarf unbedingt weiterer Verbesserungen. Zudem muss über eine Stärkung der individuellen Patientenrechte im Arzt-Patientenverhältnis sichergestellt werden, dass die Patientensicherheit bei allen Behandlungsentscheidungen in hinreichendem Maße Berücksichtigung findet. Des Weiteren müssen möglichst alle medizinischen Leistungen so ausgestaltet werden, dass sie den Patient*innen nicht schaden, sondern tatsächlich nutzen, d.h. konkret, dass die bestehenden Nutzungsbewertungsverfahren auch weiterentwickelt werden.
Nr.VI.5: Die GKV und der Verband der Ersatzkassen werden die Selbsthilfe nach § 20h SGB V weiterhin unterstützen.
Die Förderung der Selbsthilfe nach § 20h SGB V ist eine wichtige Säule zur Finanzierung der Arbeit von Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen auf der Bundesebene; auch in diesem Bereich sind nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE dringliche Verbesserungen notwendig:
Das gesamte Fördergeschehen muss wesentlich transparenter für die antragstellenden Verbände im Bereich der sog. Pauschalförderung ausgestaltet werden. Dort gibt es kaum Orientierung hinsichtlich der zu veranschlagenden Förderhöhen. Zudem muss der diskriminierende Ausschluss der Dachverbände von der Pauschalförderung beendet werden. Auch muss darauf hingearbeitet werden, dass der Zeitraum zwischen Antragstellung und Bewilligung erheblich verkürzt wird.
Nr.VI.6: Das BMG unterstützt weiterhin die für die Wahrnehmung der Interessen von Patienten und Patientinnen und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen maßgeblichen Organisationen (§140f SGB V).
Nachdem die Förderung für die Koordination der Patientenbeteiligung vom BMG in 2022 eingestellt worden war, war es für die BAG SELBSTHILFE zwar ein politischer Erfolg, dass mit dem §140f Abs. 8 SGB V im Jahr 2023 eine Regelung geschaffen wurde, die den Aufwand für die Koordination der Patientenbeteiligung zumindest zum Teil refinanziert, jedoch ist nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE nach wie vor eine Stärkung der personellen, organisatorischen und finanziellen Ressourcen der Patientenvertretung im Gesundheitswesen dringend erforderlich. Für die Patientenvertretung auf Bundesebene wird gefordert, die Arbeit der Sprecher*innen der Patientenvertretung in den Unterausschüssen des Gemeinsamen Bundessausschusses stärker zu fördern und für angemessene Aufwandsentschädigung dieser Tätigkeit zu sorgen. Die vorgenannten Maßnahmen sind alle als „fortlaufend“ vonseiten des BMG beschrieben.
Die BAG SELBSTHILFE ist jedoch der Ansicht, dass diese Maßnahmen kurzfristig, d. h. möglichst noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen sind.
Die im Koalitionsvertrag der Ampelregierung versprochene Weiterentwicklung der Patientenbeteiligung wird insoweit von der BAG SELBSTHILFE auch in Zukunft maßgeblich mitzugestalten sein.
Nr.VI.14: Das BMG wird die Schaffung und Verbreitung community-basierter Informationsangebote zu Gesundheitsthemen auch durch Schulung und den Einsatz von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auf Grundlage der Erkenntnisse bereits erfolgter Modellvorhaben unterstützen.
Die Umsetzung dieser Maßnahme hat nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig zu erfolgen.
Nr. VI.21: Das BMG wird in Kooperation mit dem Deutschen Pflegerat und den Pflegekammern die Zufriedenheit von zugewanderten Gesundheitsfachkräften erheben.
Auch die Umsetzung dieser Maßnahme hat nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE kurzfristig zu erfolgen.
Weitere im Aktionsplan aufzunehmende Maßnahmen
Ferner sind folgende Maßnahmen im Aktionsplan zu berücksichtigen, welche die BAG SELBSTHILFE u.a. auch in ihren Stellungnahmen zu aktuellen Gesetzesvorhaben des BMG aufgeführt hat:
Medizinforschungsgesetz: § 40b AMG - Nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE muss die elektronische Signatur barrierefrei ausgestaltet sein.
§ 41c, d AMG – Benötigt wird eine Stabstelle, um die Betroffenenvertretung in den Ethikkommissionen koordinieren zu können.
Apothekenreformgesetz: Ermächtigungsgrundlage für das BMG, die Telepharmazie zu regeln. In diesem Kontext muss zwingend auch die Barrierefreiheit sichergestellt werden.
Schutzimpfungen in der Apotheke - Barrierefreiheit der Aufklärung und der Räumlichkeiten muss explizit gesetzlich gefordert werden.
BIPAM-Errichtungsgesetz: Nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE muss schon bei § 2 die zielgruppenspezifische Ausrichtung der Arbeit im Gesetz mit der Verpflichtung zu barrierefreien Informationen und Patienten- und Betroffenenbeteiligung festgelegt werden.
Digitalagenturgesetz: Auch hier muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE zwingend festgelegt werden, dass die Digitalagentur für eine barrierefreie digitale Infrastruktur und digitale Anwendungen sorgt und dies auch kontrolliert. Letzteres sollte durch gesetzlich vorgeschriebene Betroffenenbeteiligung abgesichert werden.
Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz: Nach Auffassung der BAG SELBSTHILFE muss es möglich sein, einen Prüfauftrag in das Gesetz mit aufzunehmen, wonach die Verfügbarkeit barrierefreier Behandlungsangebote einer gesonderten Analyse unterzogen wird. Zudem sehen wir die Notwendigkeit der Errichtung einer Stabstelle sowie ein echtes Mitberatungsrecht im Leistungsgruppenausschuss.
Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz: Im Hinblick auf die Servicequalität der Kranken- und Pflegekassen (§ 217 f SGB V) fordert die BAG SELBSTHILFE eine Auswertung zur Barrierefreiheit.
Gesetz zur Reform der Notfallversorgung: Der Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Notfallversorgung wird grundsätzlich auch von der BAG SELBSTHILFE begrüßt, weil dieser das Gesundheitssystem entlasten sowie Patienten zuverlässig einer Behandlung zuführen wird. Jedoch enthält der Gesetzesentwurf keine Vorschriften, welche sicherstellen, dass Menschen mit Behinderung nicht wegen fehlender Barrierefreiheit von Notfallbehandlungen ausgeschlossen werden. Es muss im laufenden Gesetzgebungsverfahren aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sichergestellt werden, dass die Notfallversorgung Menschen mit Behinderung nicht ausschließt.
Neben Erstellung eines Aktionsplanes für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen ist im Koalitionsvertrag der jetzigen Ampelregierung u.a. auch vereinbart, die Versorgung von Familien mit schwerstbehinderten Kindern zu stärken. Nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE ist es notwendig, diese beiden Stränge noch in dieser Legislatur zusammen zu führen und umzusetzen.
Neben einer separaten Bedarfsplanung für Kinder und Jugendliche auch für die Psychotherapie sollte im Weiteren auch eine Vorgabe an die privaten Krankenversicherer (PKV) erfolgen, Kinder mit Behinderungen ohne Risikoprüfung ebenfalls aufzunehmen.
Auch muss in den Blick genommen werden, dass ein Bedarf an gesundheitsfördernden Leistungen seitens pflegender Eltern besteht (z.B.: Möglichkeit der Inanspruchnahme von Kuren oder auch Pflegeurlaub). Ferner brauchen nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE pflegende Eltern Kündigungsschutz, sie müssen ferner einen gesetzlichen Anspruch haben, im Home-Office arbeiten zu können sowie auch Pflegeurlaub zu beanspruchen. Auch müssen Lohnersatzleistungen für pflegende Angehörige nach dem Vorbild des Elterngeldes gesetzlich verankert werden.
Die Vorschrift gemäß § 37 Abs. 3 SGB XI, wonach die Inanspruchnahme eines Beratungsbesuches für die Pflegebedürftigen verpflichtend ist, ist nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE nicht hilfreich, sondern bedeutet im Gegenteil weitere Bürokratie. Ferner braucht es Ansprechpartner in den Kassenärztlichen Vereinigungen sowie bürokratiearmer Regelungen in den Krankenhäusern (Bürokratieentlastung).
Der vorliegende Maßnahmenkatalog zum Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen muss nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE auch Maßnahmen beinhalten, welche eine inklusive Notfallversorgung sicherstellen (barrierefreie Notdienstpraxen und Erhebungsinstrumente sowie telefonische und digitale Kontaktmöglichkeiten).
Des Weiteren finden sich im vorliegenden Maßnahmenkatalog auch keine Punkte, welche sich auf Genderfragen, wie etwa immer noch existierende Benachteiligungen in der Gesundheitsversorgung für Patientinnen, beziehen. Insbesondere, wenn es um Schnittstellen geht, wie die Versorgung von Patientinnen mit schweren körperlichen Behinderungen, gibt es sowohl im ambulanten wie im stationären Bereich nach wie vor erhebliche Versorgungsprobleme (z.B. bei gynäkologischen Untersuchungen).
Zudem muss eine medizinische sowie pflegerische Grundversorgung, welche barrierefrei und inklusiv ist, unseres Erachtens noch sektoren- und sozialgesetzübergreifender gestaltet sein. Eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung muss menschlicher und zugleich effektiver gestaltet werden. Die Belange von Menschen mit Behinderung sowie chronischen Erkrankungen und deren Angehöriger müssen stets mitberücksichtigt werden, sei es bei der Umgestaltung der Krankenhauslandschaft, der ambulanten Versorgung, bei der Digitalisierung oder in der Zukunftsgestaltung der Pflege.
Die BAG SELBSTHILFE nimmt ferner auf ihr Forderungspapier vom 12.04.2024 Bezug, in welchem Forderungen zu unmittelbaren gesetzgeberischen Maßnahmen formuliert und diese insoweit noch in dieser Legislaturperiode im Zuge des Aktionsplans für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen umzusetzen sind. (Anlage: Forderungspapier der BAG S)
Schlussendlich ist es unerlässlich, dass der abschließende und zu veröffentlichende Maßnahmenkatalog des BMG auch barrierefrei in Leichter Sprache zur Verfügung gestellt werden muss.
Berlin/Düsseldorf, den 15.08.2024
Anlage: Forderungspapier der BAG SELBSTHILFE vom 12.04.2024