Stellungnahme zum Referentenentwurf zum eIDAS-Durchführungsgesetz II

Stellungnahme der BAG SELBSTHILFE e. V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG in der durch die Verordnung (EU) 2024/1183 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. April 2024 geänderten Fassung (eIDAS-Durchführungsgesetz II) (Bearbeitungsstand: 15.10.2024)

 

Für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem o.g. Referentenentwurf eines eIDAS- Durchführungsgesetzes II des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr möchte die BAG SELBSTHILFE herzlich danken. Als Dachverband von 121 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 13 Landesarbeitsgemeinschaften nehmen wir zu dem vorgelegten Referentenentwurf wie folgt Stellung:

1.Zielstellungen des Entwurfes: 

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt grundsätzlich die Zielsetzung des Entwurfes, die erforderlichen Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der novellierten eIDAS Verordnung (eIDAS 2.0) zu schaffen. eIDAS steht für „electronic IDentifikation, Authentifikation and Trust Services“, sie schafft Vorgaben für den elektronischen Identitätsnachweis und definiert sog. „Vertrauensdienste“, welche Prozesse wie die handschriftliche Unterschrift oder das Siegeln in die digitale Welt bringen.

Die geänderte und mithin am 11.04.2024 in Kraft getretene eIDAS-VO 2.0 möchte somit einen umfassenden, sektorenübergreifenden EU-Rahmen schaffen, um sichere, vertrauenswürdige und nahtlose elektronische Transaktionen zwischen Unternehmern, Bürgern und öffentlichen Verwaltungen grenzüberschreitend in ganz Europa zu ermöglichen. Kernpunkt der Änderungen ist die Einführung einer sicheren und grenzüberschreitend einfach nutzbaren europäischen Brieftasche für die digitale Identität als elektronisches Identifizierungsmittel, d. h. ab Anfang 2027 sollen sog. European Digital Identity Wallets (EUDI-Wallets) für Bürger*innen sowie Unternehmen und Organisationen in der gesamten EU als ein harmonisiertes Identifizierungsmittel zur Verfügung stehen.

Um diese Ziele zu erreichen, sind laut Gesetzesbegründung Anpassungen des Telekommunikationsgesetzes, der Besonderen Gebührenverordnung Telekommunikation, des Telekommunikation-Digitale-Dienste Datenschutzgesetzes, der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr sowie des Personenstandsgesetzes vorzunehmen. Auch soll die Aufsichtsfunktion der Bundesnetzagentur für die Vertrauensdienste um die Aufsicht über die neu geschaffenen Vertrauensdienste sowie die Aufsicht über den Vertrauensdienst der Zertifikate für die Website-Authentifizierung erweitert werden.

2. Ergänzungs- und Nachbesserungsbedarfe aus Sicht der BAG SELBSTHILFE:

Im Hinblick auf die Einhaltung von Barrierefreiheitsanforderungen von bereitgestellten Vertrauensdiensten und elektronischen Identifizierungsmitteln im Sinne der eIDAS-VO 2.0 führt jedoch nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE die im Gesetzentwurf vorgesehene ersatzlose Streichung der §§ 7 (Barrierefreie Dienste), 20 VDG (Verordnungsermächtigung) und § 1 VDV – im Vergleich zur bisherigen Rechtslage - zu einer massiven Verschlechterung für Menschen mit Behinderung.

Der Gesetzgeber begründet die Streichung der vorgenannten Vorschriften damit, dass durch eine Neufassung des Art. 15 der eIDAS -VO bisherige Regelungslücken im Hinblick auf die Einhaltung von Barrierefreiheitsanforderungen für Menschen mit Behinderung geschlossen werden. Mit seiner Neufassung enthalte Art. 15 der eIDAS-VO eine abschließende Regelung, so dass damit korrespondierend auch der bisherige § 1 VDV (Vertrauensdienste-VO) ersatzlos wegfallen soll, wonach “ barrierefreie Vertrauensdienste gemäß § 7 Abs. 1 VDG, soweit technisch möglich, für Menschen mit Behinderungen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust zu gestalten sind. Hinweise und Informationen zur Barrierefreiheit nach § 7 Abs. 2 des VDG müssen barrierefrei, wahrnehmbar und verständlich sein. Dabei haben sie sich am Stand der Technik zu orientieren“.

Eine solche Begründung hält jedoch bereits den in der UN-BRK verbrieften Menschenrechten nicht stand. Im Gegenteil, die UN-BRK verpflichtet sowohl die Europäische Union als auch Deutschland dazu, alle geeigneten Gesetzgebungsmaßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderung einen gleichberechtigten Zugang zu und eine selbstbestimmte Teilhabe an allen modernen Informations- und Kommunikationstechnologien zu ermöglichen sowie vorhandene Zugangshindernisse und -barrieren zu beseitigen. Zudem wird Deutschland als Vertragsstaat nach der UN-BRK auch dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen für die Allgemeinheit bestimmte Informationen rechtzeitig und ohne zusätzliche Kosten in zugänglichen Formaten und Technologien, die für unterschiedliche Arten der Behinderung geeignet sind, zur Verfügung gestellt werden (Art. 9 und 21 UN-BRK).  

a) Erforderlichkeit klarer Normen im VDG bezgl. Einhaltung von Standards zur Barrierefreiheit:

Nach Art. 15 eIDAS-VO 2.0 werden elektronische Identifizierungsmittel, Vertrauensdienste und zur Erbringung solcher Dienste verwendete Endnutzerprodukte in einfacher und verständlicher Sprache gemäß dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und den Barrierefreiheitsanforderungen der Richtlinie (EU) 2019/882 zugänglich gemacht, wodurch sie auch Personen mit funktionellen Einschränkungen, wie z.B. ältere Person, und Personen mit eingeschränkten Zugang zu digitalen Technologien zugutekommen.

Diese (novellierte) Vorschrift verweist explizit auf die EU-Richtlinie 2019/882, welche durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in nationales Recht umgesetzt ist, welches wiederum selbst zahlreiche Konkretisierungen und Ergänzungen zur Barrierefreiheit enthält. So bestimmt § 3 BFSG nicht nur die Anforderungen an barrierefreie Produkte und Dienstleistungen, sondern die Norm verweist auch auf die konkretisierenden Bestimmungen der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV). Damit diese Vorgaben des BFSG einschließlich der der BFSGV auch im Rahmen einer effektiven Durchführung der eIDAS-VO 2.0 beachtet werden, ist es aus Gründen der Rechtssicherheit sowie der Transparenz geboten, eine entsprechend klare und eindeutige Regelung zu den einzuhaltenden Standards und Anforderungen zur Barrierefreiheit auch in § 7 VDG n.F. aufzunehmen.

Zudem ist es nach unserem Dafürhalten auch notwendig, einen Passus in § 7 VDG n.F. aufzunehmen, wonach Regelungen zur Barrierefreiheit außerhalb des VDG unberührt bleiben. In diesem Kontext sind insbesondere die Vorschriften der BITV 2.0 in Verbindung mit den Normen des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) zu erwähnen, wonach öffentliche Stellen des Bundes dazu verpflichtet sind, ihre Webseiten sowie mobilen Anwendungen barrierefrei zu gestalten.  

Aus vorgenannten Gründen kann sich somit die BAG SELBSTHILFE mit der ersatzlosen Streichung des § 7 Abs. 2 VDG a.F. nicht einverstanden erklären. Im Gegenteil, eine solche Regelung ist im VDG weiterhin notwendig, weil sie die Verpflichtung beinhaltet, Informationen zur Nutzung der Vertrauensdienste im Internet in barrierefreier Form zu veröffentlichen und damit einen effektiven Vollzug der eIDAS-VO 2.0 zu garantieren.

b) zuständige Aufsichtsstelle und deren Aufgaben:

Nach § 7 Abs. 3 VDG a.F. i.V.m. mit Art. 15 eIDAS-VO a.F. konnten Menschen mit Behinderung bei Verstößen gegen Barrierefreiheitsanforderungen i.S. von § 7 Abs. 1 und Abs. 2 VDG a.F. bisher die Bundesnetzagentur als zuständige Aufsichtsstelle anrufen (§ 7 Abs. 3 VDG a.F.: „Barrieren können von jedermann der Aufsichtsstelle gemeldet werden“; Art. 15 eIDAS-VO a.F.: Soweit möglich werden Vertrauensdienste und zur Erbringung solcher Dienste verwendete Endnutzerprodukte Personen mit Behinderung zugänglich und nutzbar gemacht.“) 

Infolge der Neufassung von Art. 15 eIDAS-VO 2.0 ist jedoch in der Konsequenz nicht mehr die Bundesnetzagentur als bundeseinheitliche Aufsichtsstelle bei Verstößen gegen Barrierefreiheitsanforderungen in Bezug auf bereitgestellte Vertrauensdienste oder elektronische Identifizierungsmittel zuständig, sondern durch expliziten Verweis auf den European Accessibility Act (EAA) in Art. 15 eIDAS-VO 2.0, welcher mit dem BFSG in innerstaatliches Recht umgesetzt ist, ist die nach Landesrecht bestimmte Marktüberwachungsbehörde (vgl. §§ 20, 21, 22, 32 BFSG i.V.m. § 2 Nr. 22 BFSG i.V.m. BFSGV) zuständig.

Auf der anderen Seite ist die Bundesnetzagentur als Aufsichtsstelle für die Beaufsichtigung von Vertrauensdiensten gemäß Art. 46 i.V.m. Art. 3 Nr. 16 eIDAS-VO 2.0 zuständig.

Solche widersprüchlichen Rechtsfolgen, welche sich in einem erheblichen Maße zum Nachteil der Menschen mit Behinderung auswirken, können nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, unabhängig davon, dass er selbst im Rahmen seiner Begründung anführt, Ziel dieses Entwurfes sei zwar, zum einen die erforderlichen Voraussetzungen für einen effektiven Vollzug der eIDAS-VO in ihrer geänderten Fassung zu schaffen, was insbesondere die Regelungen zu den Zuständigkeiten und Befugnissen der beteiligten Behörden sowie zu den Ordnungswidrigkeiten angehe, auf der anderen Seite überlasse die geänderte eIDAS-VO den Mitgliedstaaten Präzisierungen und bestimmte Optionen.

Unter diesem Vorbehalt muss insoweit auch nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE aus dem Vertrauensdienstegesetz (VDG) durch eine explizite Regelung auch künftig eindeutig hervorgehen, welche Behörde bei Verstößen gegen die Vorgaben zur Barrierefreiheit bei bereitgestellten Vertrauensdiensten und elektronischen Identifizierungsmitteln nach der eIDAS-VO 2.0 angerufen werden kann und durch welche Behörde die Einhaltung der Vorgaben zur Barrierefreiheit überwacht wird.

Unter dieser Prämisse kommen nach unserem Dafürhalten außer der bereits als Aufsichtsstelle für die Einhaltung der Vertrauensdienste im Sinne von Art. 3 Nr. 16 eIDAS-VO 2.0 zuständigen Bundesnetzagentur auch die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT-Bund) sowie die Bundesdruckerei-Gruppe in Betracht, weil diese Bundesbehörden bereits über das notwendige Know-how verfügen. Die BFIT-Bund überprüft bereits unabhängig die Barrierefreiheit von digitalen Angeboten der öffentlichen Stellen des Bundes. Die Bundesdruckerei-Gruppe leistet mit ihrer Digital- und Sicherheitskompetenz als Technologieunternehmen des Bundes einen Beitrag für die digitale Souveränität Deutschlands und Europas.

In diesem Kontext ist es auch unerlässlich, dass eine solche Aufsichtsstelle auch fachlich, personell sowie finanziell in der Lage sein muss, die Umsetzung von Barrierefreiheit systematisch und effizient zu kontrollieren und durchzusetzen.

Der vorliegende Gesetzesentwurf führt in seiner Begründung selbst an, „dass eine effektive Durchführung der eIDAS-Verordnung darüber hinaus auch bedeutet, dass den Behörden ausreichende Sach- und Personalmittel zur Verfügung zu stellen sind. Nationale Regelungen sind zudem dort erforderlich, wo die eIDAS-Verordnung der Präzisierung bedarf oder der Gesetzgeber von in der Verordnung vorgesehenen Optionen Gebrauch macht.“

c) Schlichtungsverfahren und Verbandsklage:

Zudem sind nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE im Vertrauensdienstegesetz (VDG) auch gesetzliche Regelungen für ein Schlichtungsverfahren sowie für eine Verbandsklage zu verankern, wie sie bereits im BFSG in den §§ 32, 33 und 34 BFSG für die Verbraucher*innen und anerkannten Verbände im Sinne von § 15 Abs. 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) zur Verfügung stehen.

Um nicht nur einen effektiven, sondern auch einen rechtlichen Rahmen für vertrauenswürdige elektronische Interaktionen der eIDAS-VO 2.0 zu gewährleisten, ist das VDG auch dahingehend zu ergänzen, dass Menschen mit Behinderung sowie andere Betroffene die Möglichkeit haben, bei Nichtbeachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit die Schlichtungsstelle nach § 16 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) anzurufen. Außerdem ist die Aufnahme einer Regelung im VDG erforderlich, welche den Verbänden i.S. von § 15 Abs. 3 BGG die Option eröffnet, bei Nichteinhaltung der Vorgaben zur Barrierefreiheit eine Verbandsklage zu erheben.

d) Bußgeldvorschriften:

Schließlich ist - wie schon in § 37 BFSG geregelt - die Nichtbeachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit nach dem VDG bzw. nach der eIDAS-VO 2.0 in die Bußgeldvorschriften aufzunehmen. Zur effektiven und wirksamen Durchführung der eIDAS-VO 2.0 enthält das VDG in § 14 n.F. eine Reihe von Bußgeldvorschriften. Nach dem Vorbild von § 37 BFSG ist auch die Nichtbeachtung der Vorgaben zur Barrierefreiheit nach diesem Gesetz als Ordnungswidrigkeit auszugestalten.

3. Fazit:

Um die mit der eIDAS-VO 2.0 gesteckten Ziele, d.h. Erleichterung und Sicherheit elektronischer Geschäfts- und Behördenprozesse, zu erreichen und damit letztlich auch einen digitalen Vertrauensraum zu schaffen, ist auch weiterhin eine Regelung zur Barrierefreiheit im Vertrauensdienstegesetz (VDG) erforderlich.

Insoweit enthält - entgegen der Begründung des Gesetzgebers – die überarbeitete eIDAS-VO 2.0, konkret Artikel 15, gerade keine abschließende Regelung mit Blick auf die Barrierefreiheit. Insoweit ist es aus Gründen der Rechtssicherheit sowie auch der Rechtsklarheit dringend geboten, das Vertrauensdienstegesetz (VDG) um die oben aufgeführten Konkretisierungen zu ergänzen.

Schlussendlich möchte die BAG SELBSTHILFE nicht unerwähnt lassen, dass unter Verweis auf das grundgesetzliche Benachteiligungsverbot gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG -„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ - sowie der von Deutschland vorbehaltlos ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention die Verpflichtungen zur Herstellung von umfassender Barrierefreiheit als Wesensmerkmal einer inklusiven Gesellschaft nicht nur rechtlich verpflichtend sind, sondern darüber hinaus auch Qualitätsstandard für ein modernes Land sowie ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft; davon profitiert die gesamte Gesellschaft.

Berlin/Düsseldorf den 31.10.2024

Behindertenpolitik
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